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BIOACID Ergebnisse im Überblick
  • Viele Organismen können der Ozeanversauerung ent­­gegenwirken. Sie könnten diese Fähigkeit jedoch verlieren, wenn sie gleichzeitig anderen Stressfaktoren wie Erwärmung, Überdüngung, Sauerstoffverlust, einem sinkenden Salz­gehalt oder Verschmutzung ausgesetzt sind.
  • Die Reduzierung regionaler Einflüsse wie Nährstoffeintrag oder Sauerstoffverlust können die Auswirkungen globaler Stressfaktoren wie Ozeanversauerung und -erwärmung abmildern.
  • In einer natürlichen Lebensgemeinschaft können die Auswirkungen von Stressfaktoren auf eine Art durch Veränderungen in den biotischen Wechselbeziehungen, wie etwa Konkurrenz, Fraß oder Parasitismus, verstärkt oder abgemildert werden.
  • Selbst kleine Veränderungen an der Basis des Nahrungsnetzes können sich auf höhere Ebenen auswirken.
  • Lebewesen können sich durch Evolution an Ozeanwandel anpassen und negative Einflüsse teilweise kompensieren. Weil die Ozeanversauerung für natürliche Verhältnisse extrem schnell voranschreitet, können jedoch nur Organismen mit sehr kurzen Generationszeiten, etwa Mikrooganismen, mit den Veränderungen Schritt halten.
  • Etwa die Hälfte der tropischen Korallenriffe kann erhalten werden, wenn Kohlendioxid-Emissionen so begrenzt werden, dass die globalen Temperaturen um nicht mehr als 1,2 Grad Celsius ansteigen. Hierbei sind aber zusätzliche Risiken etwa durch Ozeanversauerung noch nicht einbezogen.
  • Ozeanversauerung verringert die Fähigkeit des Ozeans, Kohlenstoff zu speichern. Veränderungen im Karbonat-System des Ozeans beeinflussen den Säure-Basen-Ausgleich mariner Lebewesen und können Schlüsselprozesse wie die Kalkbildung beeinträchtigen.
  • Der Klimawandel verändert das Vorkommen wichtiger Beutetiere von Fischen und kann damit ihr Wachstum und ihre Reproduktion beeinflussen. Ozeanversauerung und -erwärmung verringern die Über­lebensraten junger Lebensstadien einiger Fischarten. Dies wird wahrscheinlich den Nachwuchs von Fisch­beständen und damit letztlich auch die Fischereierträge reduzieren.
  • Die Verbreitung und die Häufigkeit von Fischarten verändern sich. Dies hat deutliche Konsequenzen für die Wirtschaft, von der kleinskaligen Küstenfischerei
    bis hin zur Tourismusbranche.
  • Es ist unerlässlich, dass Ozeanversauerung und -erwärmung im Management von Fischbeständen und Meeresgebieten berücksichtigt werden.
  • Ein Handeln nach dem Vorsorgeprinzip erscheint angemessen, wo wissenschaftliche Ansätze Risiken für die Umwelt oder die Menschheit – einschließlich kommender Generationen – nahelegen. Auch wenn die Ausmaße möglicher Risiken noch nicht vollständig verstanden sind, sollten vorsorglich Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedrohung zu vermeiden oder zu verringern.
  • Ein nachhaltigeres Leben und Wirtschaften ist nur im Wechselspiel von Gesellschaft, Unternehmen und Politik zu erreichen. Ein politischer Rahmen sollte den raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vorschreiben. Für jeden Einzelnen ist wichtig, neue Normalitätsvorstellungen einzuüben und das Verhalten im Alltag anzupassen.

WETERLESEN: Das Pariser Klimaziel erreichen // NÄCHSTER BEITRAG: Pralles Leben


 

Das Pariser Klimaziel erreichen

Während die Wissenschaft unzählige wichtige Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Ozean gewann, wurde gleichzeitig deutlich, dass zwar die Richtung vieler Veränderungen in diesem komplexen und dynamischen System vorhergesagt werden kann, es aber äußerst schwer ist, ein präzises Bild zu entwickeln. Es ist unstrittig, dass sich Stoffkreisläufe und Lebensgemein­schaften wandeln und von ihnen erbrachte Ökosystem-Leistungen beeinträchtigt werden. Das genaue Ausmaß der Bedrohung kann die Wissenschaft jedoch noch nicht vollständig ausloten.

Entsprechend dem Vorsorgeprinzip – Leitlinie der Umwelt­politik auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene – sind daher dringend Maßnahmen zu ergreifen, um Risiken zu vermeiden oder zu minimieren. Je später die Entwicklung zu einem emissionsarmen und nachhal­tigeren Leben und Wirtschaften einsetzt, desto größer wird der Aufwand für eine Anpassung und für den Ausgleich irrepa­rabler Schäden. Ein deutlicher Schritt im Kampf gegen den Klimawandel ist das Übereinkommen von Paris, in dem sich die Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen im Dezember 2015 für eine Begrenzung der menschen­gemachten globalen Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf deutlich unter 2, wenn nicht 1,5 Grad Celsius aussprachen. Um den Temperaturanstieg unter 1,5 Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung zu halten, müsste die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre bis 2100 unter 430 Teilen pro Million Teile (ppm) bleiben. Aber auch für Werte zwischen 1,5 und 2 Grad müssten die weltweiten Emissionen rasch auf null sinken. Gleichzeitig sollte emittiertes CO2 zunehmend aus der Atmosphäre entfernt und sicher gespeichert werden. Der Schwenk zu mehr Nachhaltigkeit gelingt nur, wenn Gesellschaft, Unternehmen und Politik an einem Strang ziehen. Die Reduktion der Emissionen wird auch das Aus­maß der Ozean­­­ver­sauerung und die damit verbundenen Risiken begrenzen. BIOACID steuert wichtiges Faktenwissen zu dieser Einschätzung bei.


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Abbildung: Ozeanversauerung und -erwärmung können Organismen direkt beeinflussen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken oder abschwächen. Die Reaktionen einzelner Mitglieder des Nahrungsnetzes wirken sich indirekt wieder auf andere Organismen und ganze Lebensgemeinschaften aus. Aus dem Wechselspiel der Effekte ergeben sich letztlich auch Konsequenzen für wichtige Ökosystem-Leistungen wie die Aufnahme und Speicherung von Kohlendioxid, die Nahrungs­versorgung durch Fischerei oder den kulturellen und den Erholungswert der Ozeane.

Cyanobakterien: Spaßverderber am Strand

Fallbeispiel

Zu den Organismen, die vom Ozeanwandel profitieren, gehören auch Cyanobakterien. Obwohl weder blau noch Algen, sind sie oft besser als „Blaualgen“ bekannt. Während andere Arten schon bei geringer Erwärmung ihr Existenz­-­limit erreichen, gedeihen Cyanobakterien der Art Nodularia spumigena bei erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen und Temperaturen ab 16 Grad Celsius hervorragend. Die mikroskopisch kleinen, Fäden bildenden Bakterien nehmen Stickstoff aus der Luft und das in der Ostsee reichlich vorhandene Phosphat auf und verarbeiten beides zu organischem Material. Im Sommer, wenn ihr Wachstum zur Blüten­bildung angeregt ist, können sie über 60.000 Quadratkilometer große Teppiche auf der Wasser­oberfläche bilden. BIOACID-Experimente legen nahe, dass das Zusammenspiel aus zunehmendem Sauerstoffmangel, Ozeanversauerung und Erwärmung die Produktion von Biomasse bei den Cyanobakterien noch steigern wird. Unterhalb der Bakterienmatten haben andere Photosynthese treibende Organismen das Nachsehen: Ihnen fehlt das nötige Licht für ihr Wachstum. Am Meeresboden verbraucht der Abbau größerer Mengen abgestorbener Cyanobakterien mehr Sauerstoff – was das Leben in der ohnehin sauerstoff­armen Ostsee weiter beeinträchtigen kann.

Am Strand herrscht bei Blaualgenblüten oft Badeverbot, denn Nodularia spumigena setzt die Giftstoffe Microcystin und Nodularin frei. Diese können Haut und Augen reizen oder für Übelkeit sorgen. Bei kleineren Meerestieren und Fischen führen die Gifte sogar zu Leberschäden.

Mehr über BIOACID-Forschung zu Cyanobakterien im Video-Porträt über Dr. Nicola Wannicke.


NÄCHSTER BEITRAG: Ethische Aspekte


 

Risikobewertung der Ozeanversauerung

Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen für die politische Entscheidungsfindung liefert der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) mit seinen regelmäßigen Sachstandsberichten zum globalen Klimawandel.

Für die fünfte Ausgabe definierte der IPCC fünf aktuelle „Gründe zur Besorgnis“ (Reasons for Concern, RFC), acht Grundrisiken und vier Risikoniveaus. Die „Burning Ember“-Diagramme – eine Bezeichnung, die so viel wie „glühende Kohle“ bedeutet und auf den Farbverlauf anspielt – fassen die Risiken des Klimawandels optisch zusammen. Das zugehörige Narrativ vertieft die grafische Darstellung.

Dem IPCC-Vorbild folgend fasst BIOACID seine Ergebnisse hier zusammen, um die Integration in den kommenden, sechsten Sachstandsbericht zu erleichtern. Berücksichtigt sind dabei auch Ergebnisse einer Meta-Analyse von Hun­derten von Einzelstudien – einschließlich vieler Untersuchungen aus dem Projekt selbst – die im Rahmen von BIOACID angefertigt wurde.

Das hier präsentierte „Burning Ember“-Diagramm und das dazugehörige Narrativ geben einen globalen Überblick über die Auswirkungen von Ozeanversauerung und -erwärmung und ergänzen damit die in dieser Broschüre vorgestellten Fallbeispiele. Ein globales Bild kann jedoch nicht ohne eine Vielzahl regionaler und lokaler Erkenntnisse zusammengesetzt werden.

 

Narrativ

Das Risiko schädlicher Effekte ist bei heutigen Konzentra­tionen an Kohlendioxid (CO2) noch moderat. Beobachtungen im Ökosystem zeigen bereits eine beeinträchtigte Kalk­schalenbildung bei Foraminiferen und Flügelschnecken, sie sind wichtige Glieder der Nahrungskette. An der Westküste Nordamerikas werden Verluste in Austernkulturen auf die Kombination von Ozeanversauerung mit küstennahem Auftrieb von CO2-reichem Wasser zurückgeführt.
Bei Ozeanversauerung allein (linke Säule, ohne gleichzeitige Wirkung von Extrem­temperaturen) erfolgt der Übergang in eine Hochrisikozone bei etwa 500 ppm, mit deutlich nega­tiven Effekten auf 30 bis 50 Prozent der Kalkbildner wie Korallen, Echinodermen, Mollusken, kalkbildende Makro­algen, darunter besonders tropische Arten.
Jenseits von 700 ppm werden die Risken sehr hoch, mit abnehmender Fähigkeit sich anzupassen; der Anteil betroffener Arten steigt. Bei kalkbildenden Wirbellosen werden diese Schlussfolgerungen sowohl durch heutige Beobachtungen in Gebieten mit natürlich erhöhtem Kohlendioxid bestätigt (vulkanischen Ursprungs oder im Auftrieb), als auch durch ähnliche Effekte während evolutionärer Krisen in der Erd­­geschichte. Aktuelle Befunde weisen auch darauf hin, dass der kombinierte Druck von Temperatur­extremen und Versauerung die Eintrittsschwellen zu niedri­geren CO2-Konzentrationen verschiebt (Korallen und Krebstiere).
Bei Korallenriffen verstärkt dies schon heute das Risiko großflächiger Verluste durch extreme Stürme, Fraßdruck und Ausbleichen. Beobachtungen in der Erdgeschichte legen nahe, dass Effekte andauernder Ozeanversauerung bei Wirbellosen über Jahrhunderte nicht kompensiert werden.
Ob dies auch für heutige Ökosysteme gilt ist unklar; für Fische liegen solche Erkenntnisse nicht vor, allerdings sind sie von vor allem temperaturbedingten Habitatver­lusten betroffen. Auch sind unsere Kenntnisse über Mechanismen der Kompensation, ihre Kapazität und die Grenzen evo­lutionärer Anpassungsmöglichkeiten bei Ozean­versauerung und -erwärmung begrenzt.

Aktualisiert auf der Basis von: O’Neill et al., 2017, Nature Climate Change, 7, 28–37, doi:10.1038/nclimate3179


NÄCHSTER BEITRAG: Persönliche Statements


 

Verpflichtungen für Politik und Gesellschaft

Fossile Brennstoffe sind die Hauptquelle für Treibhausgas­emissionen und Luftschadstoffe. Und beide sind nicht nur Treiber für den Klimawandel insgesamt, sondern auch für die Ozeanversauerung. Naturwissenschaftliches Fakten­wissen über Meere und Klima allein motiviert Gesellschaft, Unternehmen und Politik jedoch nur begrenzt, beispielsweise ihre Emissionen zu reduzieren. Für BIOACID wurde das in breiter Auswertung der ganz verschiedenen verhaltenswissenschaftlichen Forschungsrichtungen aufgearbeitet. Oft steht kurzfristiges Eigennutzendenken im Wege. Relevant sind auch emotionale Faktoren wie Bequemlichkeit, Gewohnheit und die Schwierigkeit, komplexe und nicht im Alltag fühlbare Vorgänge wie Klimawandel und Ozeanversauerung als dringende Probleme zu erleben. Ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einem nachhaltigen Leben und Wirtschaften gelingt nur in einem Wechselspiel aller Akteure. Besonders wichtig ist das Einüben neuer Normalitäts­vor­stellungen. Der bisherige alltägliche emissionsintensive Lebensstil in Industriestaaten und z.T. auch Schwellen­ländern gerät damit in den Blick.

Für Bürger, Unternehmen und Politik gleichermaßen wichtig ist, dass eine bloße Verlagerung der Probleme keine Lösung bietet – also etwa das Ausweichen auf neue Gewässer, wenn einige Meere leergefischt sind. Ebenso wenig führt es weiter, wenn Emissionen in Europa reduziert werden, indem die Produktion hiesiger Konsumgüter mitsamt der Emissionen sich in andere Länder verlagert. Ozeanversauerung und Klimawandel sind damit das Paradebeispiel eines wirklich globalen Problems: Rein nationale Strategien dagegen reichen definitiv nicht aus.

Davon ausgehend wurden Optionen einer wirksamen Ozean­versauerungs-Politik untersucht. Eine solche muss im Kern einen raschen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen wegen deren erwähnter zentraler Rolle vorschreiben. Der wirksamste Mechanismus dafür ist, die fossilen Brennstoffe bei Strom, Wärme, Treibstoff und stofflichen Nutzungen (wie Dünger) in klaren Schritten politisch durch ein Mengen­steuerungs­system aus dem Markt zu nehmen. Das wäre ein drastisch reformierter EU-Emissionshandel. Anders als dieser müssten jetzt aber alle Sektoren erfasst sein, und die Mengenbegrenzung muss anders als bisher so festgelegt sein, dass man in maximal 20 Jahren bei null fossilen Brennstoffen anlangt. Dies gebietet neben den Menschenrechten (dazu unten) Art. 2 des Pariser Klima-Abkommen, das rechts- und politikwissenschaftlich analysiert wurde. Die Norm begrenzt die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau. Verfährt man so, adressiert man mit Ozeanversauerung, Klimawandel, aber auch Schadstoffbelastungen von Luft, Wasser und Böden und dem Schwinden der Biodiversität mehrere von den Fossilen geprägte Umweltprobleme.

In allgemeiner Form legen auch das globale Seerecht und Naturschutzrecht fest, dass den Gefahren begegnet werden muss. Den oben gezeigten Ansatz können sie aber nicht ersetzen. Keine große Hilfe bei globalen Umweltproblemen wie Ozeanversauerung und Klimawandel ist das Anlagen­ordnungsrecht und das Haftungsrecht. Zwar können konkrete Schäden entstehen, etwa wenn Fischer geringe Fänge in saureren Meeren erzielen. Jedoch können solche Folgen nicht sinnvoll einzelnen Emittenten zugeordnet werden.

Neben dem erwähnten Klima- oder Naturschutzvölkerrecht verlangen auch die in BIOACID ebenfalls analysierten Menschenrechte ein wirksames politisches Einschreiten gegen globale Umweltgefahren wie Ozeanversauerung und Klimawandel. Denn die Menschenrechte sind auch Rechte auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen wie das Vorhandensein von Nahrung, Wasser oder eines stabilen Klimas. Der Schutz mariner Ökosysteme fällt zumindest teilweise darunter. Denn Ökosystem-Leistungen sind beispielsweise das Bereitstellen von Nahrung, das Binden von Treibhausgasen oder die Biodiversität. Diese für die Menschheit überlebenswichtigen Leistungen der Meere sind durch ein Voranschreiten von Ozeanversauerung und Klimawandel bedroht.

Prof. Dr. Felix Ekardt | Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Leipzig/Berlin


WEITERLESEN auf der Website www.sustainability-justice-climate.eu // NÄCHSTER BEITRAG: Risikobewertung der Ozeanversauerung


 

Ein Ort der Erholung

Viele Menschen verbringen ihre Freizeit am oder auf dem Wasser. Marines Klima und der Blick ins Blaue fördern die Entspannung. Steigende Temperaturen und Kohlendioxid-Konzentrationen, Sauerstoffmangel und Überdüngung lassen jedoch gefährliche Algen gedeihen.

 

Dolce Vita an der Ostsee?

Höhere Luft- und Wassertemperaturen, trockene Sommer, ein vorgezogener Frühling und ein verspäteter Herbst – oberflächlich betrachtet könnte man die Auswirkungen des Klimawandels an der Ostsee für den Tourismus positiv einschätzen.

Laden die norddeutschen Küsten monatelang zum Bade­urlaub bei angenehmer Wärme ein, während es an den derzeit noch beliebten Ferienorten etwa in der Mittelmeer- Region zukünftig um die 40 Grad Celsius heiß werden kann?

Das Meer und der Strand werden nicht mehr sein wie heute. Denn bei hohen Temperaturen verliert das Wasser Sauerstoff. Zudem nimmt es Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf – ein zusätzlicher Nährstoff für Algen und Seegras, die Photosynthese betreiben. Durch den steigenden Meeresspiegel und die vor allem im Winter auftretenden Stürme, Sturmfluten und Starkregenfälle können zudem Küstengebiete verlorengehen, wenn sie nicht ausreichend geschützt werden.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Cyanobakterien: Spaßverderber am Strand 


 

Die Augenzeugen des Klimawandels

Fallbeispiel

Fischarten wie Kabeljau und Schellfisch wandern weiter nach Nordosten, während Makrelen aus dem Süden immigrieren. Laichzeit und Laichgebiete verschieben sich. Die Anzahl und Verbreitung von Seevögeln und Meeres­säugern sind im Wandel begriffen. Beschäftigte aus Fischerei und Tourismus in Nordnorwegen spüren bereits, wie Auswirkungen des Klimawandels ihre Heimat und ihre Einkommensquellen verändern. Die Region gehört zur Barentssee, einem Teil des Nordpolarmeers, der bis jetzt von einem Reichtum an Fisch und dem Klima der hohen Breiten gekennzeichnet war. Aber die Wassertemperaturen der Barentssee steigen beträchtlich, und die Ozeanver­sauerung wird dort im Verlauf dieses Jahrhunderts vergleichsweise stark zunehmen.

Aus diesem Grund wählten BIOACID-Forschende die Barentssee-Region aus, um die Auswirkungen des globalen Wandels auf jene gesellschaftlichen Gruppen zu unter­suchen, die auf den Ozean angewiesen sind, und ihre Anpassungschancen abzuschätzen. In Workshops und Interviews gaben Beschäftigte der lokalen Küstenfischerei, Fischerei-Vereinigungen, maritime Tourismusunternehmen und Umweltorgani­sationen, sowie Vertreterinnen und Vertreter indigener Kulturen und staatliche Behörden den Forschenden Einblick in ihre Beobachtungen, Sorgen und Interessen.

Dieses Wissen aus erster Hand bildete die Grundlage eines integrativen Modells, das später gemeinsam mit den Stakeholdern beurteilt wurde. So wurde deutlich, wie Ozean­versauerung und -erwärmung das marine Ökosystem in der Barentssee verändern, in welcher Weise Menschen und Unternehmen betroffen sein können, und wie sie sich an die Veränderungen anpassen können.

Wenn sich Fischbestände von der Küste ins offene Meer verlagern, können die Boote der traditionellen Kleinfischerei ihnen nicht mehr folgen. Wer keine Arbeit verlieren möchte, wäre gezwungen, umfangreiche Investitionen zu tätigen, um die Ausrüstung anzupassen. Sportfischerei und Walbeobachtung könnten aufgrund größerer Distanzen zu aufwändig werden. Anbieterinnen und Anbieter von Touren könnten daher gezwungen werden, auf andere Aspekte des Natur- und Aktivurlaubs auszuweichen. Auf der anderen Seite vertrauen die großen Fischereiunternehmen darauf, dass
die norwegischen Fangquoten so festgesetzt werden, dass sie ihre Einkünfte auch in Zukunft sichern. Zudem wird eine nachhaltige Aquakultur als alternative Möglichkeit der Nahrungsmittel­erzeugung gesehen.

Die Barentssee liefert Beispiele dafür, wie unerwartete und oft indirekte ökologische Veränderungen, die durch Ozeanversauerung und -erwärmung hervorgerufen werden können, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen betreffen. Um marine Ressourcen und Gebiete fairer und nachhaltiger zu verwalten, ist es nötig, Wechselwirkungen im Ökosystem genauso zu untersuchen wie die Auswirkungen auf Nutzergruppen, die unterschiedlich gut in der Lage sind, mit Veränderungen umzugehen.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Frühwarnsystem Arktis // NÄCHSTER BEITRAG: Ein Ort der Erholung


 

Frühwarnsystem Arktis

Fallbeispiel

Das Nordpolarmeer ist schon heute von den Folgen des Klimawandels betroffen. Wie ein Frühwarnsystem zeigt es bereits einige Veränderungen, die andere Regionen in der Zukunft erleben könnten.

Luft- und Wassertemperaturen steigen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, und die durchschnittliche jährliche Ausbreitung des arktischen Meereises ist in den vergan­genen Jahrzehnten zurückgegangen. Aufgrund der noch immer vergleichsweise niedrigen Wassertemperaturen nehmen die eisfreien Gebiete des Nordpolarmeers mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und versauern stärker als wärmeres Wasser. Schon jetzt schwächen Ozean­versauerung und -erwärmung Organismen in verschiedenen Ebenen des Nahrungsnetzes.

Der Polardorsch Boreogadus saida ist einer der Hauptakteure im Ökosystem der Arktis. Er ist Beute größerer Fische sowie von Vögeln und Meeressäugern wie Robben und Walen. Polardorsche verbringen einen Teil ihres Lebens unter dem Meereis, wo sie sich von Zooplankton ernähren, das wie­­derum von Eisalgen lebt, die sich direkt unter dem Eis befinden. Aus diesem Grund kann der Rückgang des Meer­eises letztlich dazu führen, dass Polardorsch-Bestände schwinden.

Als hochspezialisierte Art hat sich der Polardorsch auf die relativ stabilen niedrigen Temperaturen und das knappe Nahrungsangebot des Nordpolarmeers eingestellt. BIOACID-Experimenten zufolge fällt es diesen Fischen schwer, ihren Stoffwechsel an eine wärmere Umgebung oder stark schwankende Temperaturen anzupassen. Daher sind sie gezwungen, sich in höhere Breiten zurückzuziehen – ihr Lebensraum schrumpft.

An der südlichen Grenze seines Verbreitungsgebiets, etwa in den Gewässern um Spitzbergen, steht der Polardorsch zunehmend im Wettbewerb mit seinem größeren, gefrä­ßi­geren Verwandten, dem Kabeljau Gadus morhua. Diese Art wandert aufgrund steigender Wassertemperaturen Richtung Norden. Sie ernährt sich nicht nur von Polardorsch und Lodde, sondern konkurriert auch direkt mit dem Polardorsch um Futter. Die Ozeanversauerung wird von beiden Arten ihren Tribut fordern, vor allem jedoch, indem sie die negativen Auswirkungen steigender Wassertemperaturen verstärkt. BIOACID-Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler haben festgestellt, dass beide Faktoren syner­gistisch zusammen­wirken und insbesondere die besonders empfindlichen frühen Lebensstadien des Polardorschs, die Überlebens­raten von Embryonen und Larven treffen.

Der Kabeljau profitiert derzeit noch von der Erwärmung an seiner nördlichen Verbreitungsgrenze. Doch ein Umwelt­modell, in das die Ergebnisse von ­BIOACID-Experimenten eingerechnet wurden, zeigt: Ozeanversauerung und -erwärmung werden den Nachwuchs der Kabeljau-Bestände in der Barentssee, einem Randmeer des Nordpolarmeeres, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts deutlich dezimieren.

Um mit den Herausforderungen eines sich wandelnden Ozeans zurecht zu kommen, benötigen Meereslebewesen zusätzliche Energie. Darum untersuchen Forschende mit Hochdruck, wie sich die Zusammensetzung des Nahrungsnetzes und die Nährstoffverfügbarkeit verändern.

Die Flügelschnecke Limacina helicina ist eine wichtige Nahrungsquelle für viele marine Lebewesen – auch für den Polardorsch und den Kabeljau. Flügelschnecken, auch Seeschmetterlinge genannt, sind winzige schwimmende Schnecken mit einem Gehäuse aus Kalk. Ozeanversauerung und -erwärmung beeinträchtigen ihr Schalenwachstum und ihren Stoffwechsel, was ihren Nahrungswert als Beute reduzieren könnte. Feldstudien legen außerdem nahe, dass sich ihre Anzahl verringert. Diese Beobachtungen zeigen, dass Ozeanversauerung und -erwärmung einige wichtige Nahrungs­quellen negativ beeinflussen können und dies Konsequenzen für Organismen in höheren Ebenen des Nahrungsnetzes haben kann.

Da polare Arten an ein Leben mit niedrigem Energieumsatz gewöhnt sind, entwickeln sie sich vergleichsweise langsam und reagieren weniger flexibel auf Veränderungen in ihrem Lebensraum. Arten in wärmeren Gefilden sind dagegen an eine größere Bandbreite an Umweltbedingungen angepasst. Polare Ökosysteme sind besonders anfällig, selbst für geringe Umweltveränderungen, und bedürfen eines besonderen Schutzes.

Mehr über die BIOACID-Forschung in der Arktis in diesen Video-Porträts von Dr. Felix Mark und Dr. Silke Lischka.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Die Augenzeugen des Klimawandels


 

Nahrungsnetz im Wandel

Fische und Meeresfrüchte ernähren Menschen rund um den Globus. Fischerei ist in vielen Regionen eine wichtige Einkommensquelle. Aber wie sieht die Zukunft aus? In der Arktis wird heute schon deutlich, wie der Ozeanwandel marine Nahrungsnetze verändert und dadurch die Wirtschaft oder auch die Kultur beeinflussen kann.

 

Wie lange können wir noch Fisch essen?

Überall auf der Welt sind Menschen auf Nahrung aus dem Meer und auf den Fischfang als Lebensunterhalt ange­wiesen. In einigen Ländern ist Fisch die wichtigste Proteinquelle. Nicht nur in Küstenregionen gelten Fisch und Meeresfrüchte als traditionelle Speise oder Delikatesse. Kleinfischerei kann die Identität indigener Kulturen begründen. Viele Volkswirtschaften hängen in hohem Maße von Einkünften aus dem Fischexport ab. Doch mehr als ein Drittel der weltweiten Fisch­bestände sind als überfischt eingestuft. Diese wert­vollen Ressourcen nachhaltig zu nutzen und zu bewahren, ist eine Herausforderung für die globale Politik.

Der Klimawandel setzt übernutzte Fischbestände zusätzlich unter Druck. Ozeanversauerung und -erwärmung stellen einen massiven Stress für wirtschaftlich wichtige Arten dar und können deren Populationen spürbar reduzieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen, Fangquoten zu verringern, um Bestände vor dem Zusammenbruch zu retten und ihnen eine Chance zu geben, sich besser auf Umweltveränderungen einzustellen.

 

Weniger Energie für Körperfunktionen

Labor- und Freilandexperimente haben gezeigt, wie Ozeanversauerung und -erwärmung die Entwicklung der Fische und den Nachwuchs von Beständen behindern: Steigende Temperaturen könnten den Energiebedarf von Fischen erhöhen. Doch Studien legen nahe, dass sie in einem wärmeren und saureren Ozean weniger oder weniger gehaltvolle Nahrung finden könnten. Infolgedessen ist nicht sichergestellt, dass Fische ausreichend Energie für alle Körperfunktionen erhalten werden. Bei einigen Arten können außerdem steigende Wassertemperaturen und Kohlendioxid-Konzentrationen die Entwicklung in frühen Lebensstadien behindern. Junge Fische leben in den ersten Tagen nach dem Schlüpfen von einem Dottersack. Weil dessen Größe und Energiemenge von Ozeanversauerung und -erwärmung beeinträchtigt wird, gerät die Fitness der Jungfische in Gefahr.

 

Für ein faires Fischereimangement

Auf diesen Ergebnissen aufbauend haben BIOACID-­Mitglieder in Modellrechnungen nachgewiesen, dass das Schicksal der wichtigsten wildlebenden Fischbestände des Nordatlantiks in den nächsten 20 bis 40 Jahren mindestens genauso von der Entwicklung des Fischereigeschirrs sowie von der Nachfrage und der Effektivität von Fischereiverordnungen abhängen wie von Konsequenzen des menschen­gemachten Ozeanwandels. Die Modelle unterstreichen, wie dringend notwendig es ist, direkte und indirekte Auswir­kungen des Klimawandels in Strategien für das Fischereimanagement einzubeziehen. Nur so können Rückgänge von Fisch­populationen aufgehalten werden. Der Klimawandel muss in Fischereiverordnungen berücksichtigt werden, wenn Fischbestände auf lange Sicht öko­nomisch und ökologisch existenzfähig genutzt werden sollen.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Frühwarnsystem Arktis // Fallbeispiel Die Augenzeugen des Klimawandels


 

Ethische Aspekte

Ozeanversauerung ist eine schleichende Bedrohung für den Weltozean und seine Lebewesen. Ausgelöst durch mensch­liche Aktivitäten, wird sich diese Veränderung in der Meereschemie auf die Zukunft der reichen marinen Artenvielfalt und für uns Menschen wichtige Ökosystem-Leistungen aus­wirken. Angesichts der trotz aller Forschung verbleibenden großen wissenschaftlichen Ungewissheiten ist das Vorsichts- oder Vorsorgeprinzip einschlägig. Ozeanversauerung ist ein Thema der Wahrnehmung von Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen in Ansehung des Ozeans.

In der Umweltethik besteht Konsens darüber, dass die heute lebende Generation das Voranschreiten der Ozeanversauerung bekämpfen und, sofern möglich, deren Auswirkungen minimieren sollte. Eines der „Ziele für die Nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen (SDG 14) betrifft den Erhalt des Lebensraums Ozean und den nachhaltigen Umgang mit seinen Ressourcen. Eine konkrete Vorgabe innerhalb dieses Ziels ist, „die Versauerung des Ozeans auf ein Mindestmaß zu reduzieren und ihre Auswirkungen zu begrenzen“. Dieses Prinzip der Übelminimierung muss durch konkrete Ziele spezifiziert werden, die vor allem auch die Treibhausgas-Emissionen betreffen, die für die Versauerung ursächlich verantwortlich sind: Klimaschutz und Meeresschutz hängen hier direkt zusammen.

Ein Hauptargument für dieses Nachhaltigkeitsziel sollte darin bestehen, dass es vorteilhaft für alles Leben auf der Erde ist. Die verbreitetsten Argumente basieren auf einer anthro­pozentrischen Perspektive: Es ist zu unserem eigenen langfristigen Wohlergehen und im Einklang mit mensch­lichen Werten, den Ozean so zu erhalten und zu pflegen, wie wir ihn kennen. Dies betrifft auch nicht-ökonomische Werte wie Naturschönheit, Erholung und Sinn für die „Größe“ des Ozeans. Biozentrische und ökozentrische Sichtweisen, die Lebewesen und Ökosystemen einen moralischen Selbstwert oder Eigenwert zuerkennen, würden noch eindringlicher fordern, den Ozean vor Versauerung zu bewahren.

Risiken abzuschätzen und Gründe zur Besorgnis zu definieren, bedeutet immer auch, durch Werturteile zu bestimmen, welche Schäden oder Verluste drohen und möglichst zu vermeiden sind. Eine methodische Grundlegung solcher umweltethischer Werturteile hinsichtlich der Ozeanversauerung ist daher, zu ermitteln, wie diese marine Ökosystem-Leistungen beeinflusst, die Menschen zugutekommen.

Das methodische Konzept der Ökosystem-Leistungen ist allerdings anthropozentrisch und enthält sich der Frage nach möglichem Selbstwert von Naturwesen. Man unterscheidet zwischen bereitstellenden, regulatorischen und kulturellen Ökosystem-Leistungen. Bereitstellende Services wie die Versorgung mit Nahrung aus dem Meer oder regulierende Services wie die Speicherung von Kohlenstoff sind leicht nachzuvollziehen und als wichtige Güter anzuerkennen.

Kulturelle Leistungen werden allzu oft in ihrer Bedeutung für das menschliche Wohlergehen unterschätzt, weil sie schwer zu messen oder in Geldsummen auszudrücken sind. Eine „tiefe“ anthropozentrische Umweltethik argumentiert, dass diese Werte gute Gründe für anspruchsvollen Naturschutz einschließlich des Schutzes des Ozeans sind.

Zum Beispiel kann das Vorhandensein eines Korallenriffs die kulturelle Identität, Traditionen und die Lebensgrundlage einer Gemeinschaft über Generationen prägen und gleichzeitig für viele Menschen einen überragenden ästhetischen oder emotionalen Wert besitzen. Den Verlust solcher Riffe würde nicht nur die lokale Bevölkerung und andere, die ideelle Werte mit dem Riff verbinden, direkt zu spüren bekommen – auch kommende Generationen wären nach­teilig betroffen.

Das Problem der Ozeanversauerung nötigt uns – neben anderen Problemen – den Abschied von der letzten großen Unendlichkeitsillusion auf: Selbst den Ozean können wir Menschen tiefgreifend und nachteilig verändern. Dieser Abschied ist ent-täuschend und er erlegt zugleich Verant­wortung auf. Willkommen im Anthropozän.

Frederike Böhm, Prof. Konrad Ott | Philosophie und Ethik der Umwelt, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel


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Wie geht’s weiter, Emiliania huxleyi?

Fallbeispiel

Die einzellige planktonische Alge Emiliania huxleyi produziert einen erheblichen Teil der Biomasse und des Kalzium­karbonats im Ozean, unterstützt die Aufnahme von Kohlendioxid an der Oberfläche und setzt das klimakühlende Gas Dimethylsulfid (DMS) frei. Es ist fast unmöglich, sich den marinen Stoffkreislauf ohne den winzigen Allrounder vorzustellen. Doch genau dies erwarten Forschende aufgrund der Ergebnisse ihrer Labor- und Feldexperimente. Ein Rückgang des allgegenwärtigen und produktivsten kalkbildenden Orga­nismus im Ozean hätte massive Auswirkungen auf das Klimasystem.

In kontrollierten Laborexperimenten, in denen die Alge als isolierte Art Ozeanversauerung ausgesetzt war, sanken ihre Wachstums- und Kalkbildungsraten nur geringfügig. Bis zu einem gewissen Grad konnte sie sogar den Negativfolgen der Ozeanversauerung durch evolutionäre Anpassung entgegenwirken.

Aber in einer Feldstudie mit den KOSMOS-Mesokosmen, welche die Reaktionen von Emiliania huxleyi auf Ozean­versauerung in ihrem natürlichen Lebensraum untersuchte, konnte der Organismus seine Populationsgröße nicht halten. Er konnte auch keine Blüten mehr bilden, wie er sie normalerweise rund um den Globus entwickelt.

Emilianias Niedergang begann bereits vor der Blütephase: Die Ozeanversauerung reduzierte das Zellwachstum in ähnlicher Weise wie es zuvor im Labor beobachtet worden war. Dies führte dazu, dass die Population kontinuierlich schrumpfte. Als es für Emiliania an der Zeit war, eine Blüte zu bilden, waren nur noch so wenige Zellen vorhanden, dass sie ihre Konkurrenten nicht mehr übertrumpfen konnte.

Einzellige kalkbildende Phytoplankton-Arten wie Emiliania huxleyi werden auch Coccolithophoriden genannt, angelehnt an die Bezeichnung für die Kalkplättchen, mit denen sie ihre Zellen umgeben: die Coccolithen. Viele verschiedene Formen von Coccolithophoriden leben seit 200 Millionen Jahren im Weltozean. Doch jetzt scheint ihre Existenz davon abzu­hängen, wie viel Energie sie für die Kalkbildung im saureren Wasser aufbringen müssen und welchen Nutzen diese hat.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die Coccolithen dem Schutz vor Feinden dienen. Aber vor der Bedrohung durch den Klimawandel können die Kalkplättchen die mikroskopisch kleinen Algen nicht schützen. Im Gegenteil: Diese Rüstung aufzubauen, könnte sie zu viel Kraft kosten, um den Wandel zu überdauern und ihre wichtige Funktion für unser globales Klima weiter zu erfüllen.

Mehr über BIOACID-Forschung zu Emiliania huxleyi in diesem Video-Porträt von Dr. Lennart Bach.


NÄCHSTER BEITRAG: Nahrungsnetz im Wandel


 

Klimaregulation – und mehr

Indem er Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnimmt, mildert der Ozean die globale Erwärmung. Dieser unbezahlbare Service basiert auf chemischen und biologischen Prozessen im Meerwasser. Der Kreislauf der Elemente sichert auch viele weitere wichtige Ökosystem-Leistungen. Der Klimawandel kann sie aus dem Gleichgewicht bringen.

 

Lebensspendende Stoffkreisläufe

Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor: Drei mit­­-einander verbundene Stoffkreisläufe sichern das Leben im Ozean. Der wichtigste von ihnen ist der Kohlenstoffkreislauf, der gleichzeitig eine Schlüsselrolle im Klimasystem spielt. Doch auch andere Ökosystem-Leistungen des Ozeans werden von den Veränderungen in der Zirkulation und im Austausch der Elemente betroffen sein.

Der Ozean absorbiert etwa 30 Prozent des Kohlendioxids (CO2), das Menschen jedes Jahr freisetzen. Dadurch steigen die Konzentrationen dieses Treibhausgases in der Atmosphäre langsamer, und die globale Erwärmung wird abge­mildert. Aber wenn sich mehr und mehr CO2 im Meer­wasser löst, sinkt dessen Aufnahmekapazität. Steigende Tempera­turen verstärken das Problem noch: Je wärmer das Meerwasser wird, desto weniger CO2 kann es halten.

 

Die biologische Kohlenstoffpumpe

Neben chemischen Reaktionen steuern biologische Pro­zesse die CO2-Aufnahme im Ozean über die sogenannte biol­­­o­gische Pumpe. In der obersten Wasserschicht nutzt Phytoplankton Kohlendioxid und Sonnenlicht, um orga­nisches Material zu produzieren. Einige dieser Partikel sinken in tiefere Wasserschichten und werden im Ozean­inneren abgebaut. Indem sie darauf hinarbeitet, die Konzentration an der Wasseroberfläche zu verringern, treibt die ­biolo­gische Pumpe die Kohlendioxid-Aufnahme aus der Atmosphäre an.

Ozeanversauerung und steigende Temperaturen beeinträchtigen die Effizienz der biologischen Kohlenstoffpumpe. Eine Erwärmung der Wasseroberfläche steigert die Schichtung der Wassersäule, und weniger Nährstoffe gelangen in die sonnendurchschienenen oberen Bereiche. Stehen weniger Nährstoffe zur Verfügung, wird weniger organisches Material an der Oberfläche produziert und weniger Kohlenstoff in die Tiefe transportiert.

 

Versauerung schwächt die Pumpfunktion

Forschungen zufolge verschiebt Ozeanversauerung die Zusammensetzung in der Phytoplankton-Gemeinschaft hin zu kleineren Arten. Kleineres Plankton sinkt langsamer, und die Pumpfunktion nimmt ab. Außerdem fällt es kalk­bildendem Plankton in einem saureren Ozean schwerer, seine Strukturen aufzubauen. Die einzellige Alge Emiliania huxleyi umgibt sich beispielsweise mit winzigen Kalkplättchen. Diese winzigen Partikel ziehen organisches Material als Ballast in den tiefen Ozean. Eine verringerte Kalkproduktion kann daher auch dazu führen, dass die biologische Pumpe geschwächt wird.

Diese Veränderungen im Sinkprozess werden teilweise dadurch kompensiert, dass Erwärmung die oberen Schichten des Ozeans dünnflüssiger werden lässt. Dies könnte die Geschwindigkeit wieder ein wenig steigern. So kann das komplexe Wechselspiel der Prozesse es extrem erschweren, die endgültigen Auswirkungen auf die biologische Kohlenstoffpumpe abzuschätzen.

 

Stickstoff- und Phosphorkreislauf

Außer dem Kohlenstoffkreislauf müssen auch zwei weitere Kreisläufe im Einklang sein, damit das System Ozean funk­tioniert: Der Stickstoff- und der Phosphorkreislauf halten das Leben im Meer aufrecht – und auch sie sind vom Ozean­wandel betroffen.

Spezialisierte Organismen nehmen im warmen Oberflächenwasser gasförmigen Stickstoff auf, der dem Phytoplankton sonst nicht zugänglich ist, und bringen ihn ins Nahrungsnetz ein. Ozeanversauerung unterstützt diese wichtige Stickstoffquelle – was wiederum die Produktion organischen Materials und damit die CO2-Pumpe ankurbeln könnte, sofern nicht eine begrenzte Verfügbarkeit anderer Nährstoffe diesen Effekt wieder schmälert.

Mikroben, die am sauerstoffarmen Meeresboden leben, verarbeiten Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen wieder zu Gas und geben es an die Atmosphäre ab. Während die Sauerstoff-Konzentrationen im Ozean sinken, geht mehr biologisch verfügbarer Stickstoff verloren, und mehr ­Phosphor wird aus Tiefsee-Sedimenten gelöst. Doch nur wenn sich die Umsatzraten beider Prozesse etwa im Gleich­gewicht befinden, kann der Ozean weiterhin so produktiv sein wie heute.

Ozeanversauerung und -erwärmung stören die marinen Stoffkreisläufe. Sie beeinträchtigen nicht nur die CO2-Aufnahme, sondern werden auch den lebensnotwendigen Austausch von Nährstoffen und damit die Produktivität des Ozeans sowie marine Nahrungsnetze und deren Ökosystem-Leistungen beeinflussen.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Wie geht’s weiter, Emiliania huxleyi?


 

Ökosystem-Baumeister im Mehrfach-Stress

Fallbeispiel

Wenn an den steinigen Küsten der Ostsee artenreiche Lebensgemeinschaften entstehen, hat der Blasentang Fucus vesiculosus perfekte Basisarbeit geleistet. Indem er Kiesel und Felsen entlang der Küsten dieses Binnenmeeres besiedelt, schafft er Heimat und Schutz für kleine Krebse, Muscheln, Schnecken, Algen und sogar Fische. Weil in der jungen und brackwasserhaltigen Ostsee weniger Tiere und Pflanzen als in anderen Meeresgebieten leben, sind nur einzelne Schlüsselarten für das Funktionieren dieses Öko­­systems verantwortlich – etwa Fucus vesiculosus.

Blasentang setzt einen Großteil der im Meerwasser enthal­tenen Nährstoffe um und trägt maßgeblich zur Produktion von organischem Material bei. Dadurch treibt er die biogeochemischen Kreisläufe der Ostsee an. Interaktionen zwischen den Arten sind fein darauf abgestimmt, das System aufrechtzuerhalten. Wird ein Bestandteil durch den Klimawandel beeinträchtigt, wirkt sich dies sowohl auf das System als auch auf dessen Funktionen für uns Menschen aus.

BIOACID-Forschende untersuchten, wie sich verändernde Umweltfaktoren, etwa eine Zunahme der Kohlendioxid-Konzentrationen, Erwärmung oder Überdüngung, die Fucus-Gemeinschaften beeinflussen. Dafür überführten sie den Tang und mit ihm zusammenlebende Arten wie kleinere epiphytische – auf ihm wachsende – Algen, Weidegänger wie kleine Krebse und Wasserschnecken sowie Muscheln in große Experimentiertanks.

In einer Serie jahreszeitlicher Versuche setzten sie die Lebensgemeinschaften verschiedenen Kombina­tionen von heutigen und zukünftigen Wassertemperaturen und Kohlendioxid-Konzentrationen aus. Zusätzlich steigerten sie die Nährstoffzufuhr.

Die Ergebnisse verdeutlichen die kombinierten und jahreszeitlich unterschiedlichen Auswirkungen verschiedener Umweltfaktoren: Bei gegenwärtigen Wassertemperaturen wirkt sich Ozeanversauerung fast gar nicht aus. Eine Erwärmung bedeutet hingegen immensen Stress – umso mehr in Kombination mit steigendem Nährstoffgehalt und in einigen Fällen auch steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen. Vor allem während der Sommermonate können die biologischen Wechselbeziehungen gestört werden: Die erhöhten Temperaturen schwächen das chemische Abwehrsystem des Fucus gegen die epiphytischen Algen, während die Algen selbst von der Erwärmung, dem Nährstoffzuwachs und dem zusätz­lichen Kohlendioxid profitieren. Die Weidegänger, welche die aufwachsenden Algen natürlicherweise abgrasen, sterben bei hohen Sommertemperaturen. Letztlich erstickt der Fucus als fundamentbildende Art aufgrund der Blüte der Epiphyten, die durch die Erwärmung vom Fraßdruck der Weidegänger befreit sind. So können Veränderungen in den Interaktionen zwischen Arten den Gesamteinfluss des Klimawandels auf marine Lebensgemeinschaften beeinflussen.

Überdüngung ist eines der ältesten Umweltprobleme im Meer. Die Ostsee gilt seit den 1960er-Jahren als eutroph, also reich an Nährstoffen. Bislang haben europäische Richt­linien zum Wassermanagement ihr Ziel eines guten chemischen und ökologischen Zustands nicht vollständig erreicht. Das Experiment zeigt, dass lokale Faktoren die Folgen globaler Einflüsse wie Temperaturanstieg verstärken können. Diese lokalen Stressoren zu verringern, würde Schlüssel­arten der Ostsee wie Fucus vesiculosus helfen, besser mit dem globalen Klimawandel zurecht zu kommen und ihre wich­tigen Ökosystem-Funktionen zu erhalten.

Mehr über BIOACID-Forschung zu Fucus-Gemeinschaften in der Ostsee in diesem Video-Porträt über Angelika Graiff.


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Gibt es Hoffnung für Lophelia pertusa?

Fallbeispiel

Kalt und dunkel ist die Welt der Lophe­lia pertusa – und dennoch überraschend farbenfroh. Anders als tropische Korallen werden die Schönheiten aus der Kälte nicht von Photosynthese treibenden Algen versorgt. Sie fangen vorbeischwebendes Plankton. Weil sie kein Licht zum Leben benötigen, entfalten sie ihre Pracht auch in mehreren hunderten bis tausenden Metern Wassertiefe.

Als Riffbildnerin formt Lophelia pertusa ein festes Geflecht aus schneeweißen, orange- oder rosafarbenen Zweigen. Dazwischen erheben sich gelbe Schwämme und pinkfarbene „Kaugummikorallen“, oft dicht besetzt mit vielarmigen Gorgonenhäuptern. Muscheln filtern, gut im Geäst verborgen, Nahrungspartikel aus dem Wasser. Springkrebse und Garnelen krabbeln durch den bunten Wald, und Fische ziehen ihre Bahnen über dem Gewimmel. Rund um den Globus verstecken sich in den Tiefen der Meere solch eindrucksvolle Lophelia-Riffe, die tropischen Korallen­­-
welten in nichts nachstehen.

Weil sie ihre Skelette aus Aragonit, einer besonders leicht löslichen Art von Kalziumkarbonat aufbauen, gelten Kalt­wasserkorallen wie Lophelia pertusa als besonders von Ozeanversauerung bedroht. BIOACID-Forschende haben daher lebende Korallenstöcke in ihren Laboren zukünftigen Kohlendioxid-Konzentrationen und Wassertemperaturen ausgesetzt. Bei unveränderten Wassertemperaturen zeigten die Korallen im saureren Wasser ein verringertes Wachstum. Eine erhöhte Temperatur allein steigerte das Wachstum. Bei gleichzeitig erhöhten Wassertemperaturen entwickelten sie sich im saureren Wasser ähnlich wie unter heutigen Bedingungen. In der Kombination glichen die Aus­­­wirkungen der beiden unterschiedlichen Umwelt­faktoren also einander aus.

Ist dies Anlass zur Hoffnung? Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler sind überzeugt, dass die letztendliche Reaktion der Kaltwasser­korallen stark davon abhängt, in welchem Maße der Ozean im Zuge des Klimawandels versauert und welche Temperaturen die Korallen zukünftig erleben. Lophelia pertusa könnte nur so lange von steigenden Temperaturen profitieren, wie diese innerhalb der Grenzen liegen, die diese Art weltweit zurzeit bereits erlebt. In manchen Regionen befindet sie sich aber bereits an ihrem Temperatur-Limit. Steigen die Tempe­­­­ra­turen weiter, könnte die Erwärmung den negativen Effekt der Ozeanversauerung verstärken, anstatt ihn zu kompensieren.

Weiteren Anlass zur Sorge bereitet die Beobachtung, dass nur lebende Korallen den geänderten Bedingungen trotzen. Abgestorbene Lophelia-Stöcke sind nicht durch ihr organisches Gewebe gegen das saurere Wasser geschützt und könnten stärker angegriffen werden. Doch genau sie bilden das Fundament für die Artenvielfalt heutiger Riffe. Weitere Labor- und Feld­experimente werden zeigen, wie flexibel Lophelia pertusa in ihrer natürlichen Umgebung auf Umweltveränderungen reagiert und wo die Grenzen ihres Anpassungspotenzials liegen. Doch um die beeindruckenden untermeerischen Oasen zu bewahren, die Lophelia pertusa begründet, müssen Aus­wirkungen des Klimawandels schon jetzt verringert werden – während die Wissenschaft weiter daran arbeitet, das komplexe Ökosystem zu verstehen.

Mehr über BIOACID-Forschung zu Lophelia pertusa in diesem Video-Porträt von Janina Büscher.


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Pralles Leben

Das Meer macht etwa 90 Prozent des belebten Raums auf unserem Planeten aus. Bis jetzt sind weniger als fünf Prozent dieser Gefilde erforscht. Viele marine Pflanzen und Tiere warten noch immer darauf, entdeckt zu werden. Dank seiner Artenvielfalt erfüllt der Ozean viele wichtige Funktionen und sichert das Wohlergehen der Menschheit.

 

Planet Ozean: das Reich der Artenvielfalt

Von winzigen einzelligen Organismen bis zu den gewaltigen Meeressäugern: Der Ozean beherbergt eine Fülle an Arten. Unzählige warten noch darauf, entdeckt zu werden. Vor der Entwicklung der Menschheit war die Vielfalt der Pflanzen und Tiere an Land und im Meer sogar noch größer. Vor allem seit Beginn des Anthropozäns haben wir das Leben auf der Erde immens verändert. Wir verstehen noch nicht voll­ständig, welche Auswirkungen die Umweltveränderungen haben werden, die wir durch unseren Lebensstil hervorrufen. Aber wir wissen, dass sie letztlich wiederum unser Dasein beeinflussen werden. Schon allein darum sollten wir unseren Einfluss auf die Natur so gering wie möglich halten.

Der Ozean bedeckt zwei Drittel unseres Planeten und macht etwa 90 Prozent des belebten Raums auf der Erde aus. Aber bis jetzt haben wir weniger als fünf Prozent dieser Gefilde erkundet. Der Census of Marine Life, ein internationales, auf zehn Jahre angelegtes Vorhaben, das die Arten­vielfalt im Ozean untersuchte, entdeckte mehr als 6.000 neue Lebewesen im Meer. Und dennoch konnten die Mitglieder dieses Projekts nicht einmal abschätzen, wie viele Arten in den Küstengebieten vorkommen – den Regionen, die wir am besten zu kennen glauben. Ihre Schätzungen schwankten zwischen rund 180.000 und 10 Millionen.

 

Tropische Korallenriffe: Oasen der Artenvielfalt

Tropische Korallenriffe vermitteln einen Eindruck davon, welche Vielfalt marines Lebens an einem einzigen Ort entfalten kann. Die Riffe bedecken zwar nur ein Prozent des Ozeans, beherbergen aber ein Viertel der heute bekannten Arten. Ein Quadratmeter dieser Oasen des Artenreichtums beheimatet etwa 1.000 verschiedene Spezies.

Mit der Erwärmung steigt das Risiko von Korallenbleichen, von denen sich die Organismen nur schwer wieder erholen. Modellrechnungen zufolge müsste der Temperaturanstieg auf 1,2 Grad Celsius begrenzt werden, um zumindest die Hälfte der Riffe zu erhalten. Zusätzliche Risiken durch Ozeanversauerung sind bei diesen Prognosen jedoch noch gar nicht einbezogen.

Steinkorallen, die das Fundament jedes bunten Riffs dar­stellen, bilden ihre festen Skelette aus Aragonit, der löslicheren Form des Kalziumkarbonats (Kalk). Im saureren Wasser wachsen sie langsamer – unter Extrembedingungen langsamer als das Riff erodiert. Zudem bleibt ihr Skelett empfindlicher und damit anfälliger für Stürme oder auch für Organismen, die sich ins Innere der Korallen bohren oder ihre Kalkstrukturen angreifen. Weil zudem einige Korallen­arten besser als andere mit den Umweltver­änderungen zurechtkommen, kann der Klimawandel die Vielfalt der Riffe reduzieren.

 

Diversität sichert wichtige Funktionen

Biodiversität, die Vielfalt an Arten, genetischem Material und biologischen Lebensgemeinschaften, ist Voraussetzung für das Funktionieren eines Ökosystems – und letztlich auch für das Wohlergehen der Menschheit. Nur, wenn die verschiedenen Organismen ihre Rollen innerhalb eines marinen Ökosystems erfüllen, kann der Ozean seine Funktionen und Produktivität aufrechterhalten: Er reguliert unser Klima und liefert uns Nahrung, er bietet Inspiration und Erholung, er prägt das kulturelle Selbstverständnis. Der Verlust von Arten birgt Gefahren für natürliche Systeme sowie die Güter und Dienstleistungen, die sie für uns erbringen.

 

Güter, Services und Anpassungsfähigkeit in Gefahr

Je reicher an Arten eine marine Lebens­gemeinschaft ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich an Umwelt­veränderungen anpassen kann. Dies liegt daran, dass in einem diversen Ökosystem verschiedene Lebewesen ähnliche interne Funk­tionen erfüllen und Interaktionen unterstützen.

Auf der anderen Seite werden Systeme, zu denen nur wenige Arten gehören oder die auf spezialisierten Schlüsselarten basieren, als besonders empfindlich betrachtet. Beispiele für solche marinen Lebensgemeinschaften sind die Arktis und Ant­­arktis. Daher bedürfen die Polarmeere eines besonderen Schutzes.


WEITERLESEN: Fallbeispiel Gibt es Hoffnung für Lophelia pertusa? // Fallbeispiel Ökosystem-Baumeister im Mehrfach-Stress


 

Ozean im Klimawandel

Indem der Ozean Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnimmt, bremst er den globalen Klimawandel. Doch das Treibhausgas löst im Wasser chemische Reaktionen aus: Das Meer wird saurer. Der deutsche Forschungsverbund BIOACID hat die Folgen der Ozeanversauerung für das Leben im Meer und Konsequenzen für Gesellschaft und Wirtschaft untersucht.

 

Ozeanversauerung: das andere Kohlendioxid-Problem

Als „das andere Kohlendioxid-Problem“, als „böser kleiner Bruder der Erwärmung“ und, zusammen mit Temperaturanstieg und Sauerstoffverlust, als Teil eines „töd­­lichen Trios“ ist die Ozeanversauerung bekannt geworden – eine chemische Veränderung, die ausgelöst wird, wenn sich Kohlendioxid (CO2) aus der Atmos­phäre im Meerwasser löst. Einerseits bremst die CO2-Aufnahme den globalen Klimawandel. Andererseits beeinflusst sie das Leben und die Stoffkreisläufe im Ozean – mit Folgen für alle, die von ihm abhängen.

Der deutsche Forschungsverbund BIOACID – Biological Impacts of Ocean Acidification (Biologische Auswirkungen von Ozeanversauerung) untersuchte von 2009 bis 2017, wie marine Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung reagieren und welche Konsequenzen dies für das Nahrungsnetz und die Stoff- und Energieumsätze im Meer sowie schließ­lich auch für die Wirtschaft und Gesellschaft hat. An dem Projekt, das am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung Kiel koordiniert wurde, beteiligten sich mehr als 250 Forschende verschiedener meereswissenschaftlicher Disziplinen aus 20 deutschen Instituten. Mit rund 580 fachlich begutachteten Publikationen trug BIOACID maßgeblich zum internationalen wissenschaftlichen Diskurs bei. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter­stützte das Projekt über drei Förderphasen mit insgesamt 22 Millionen Euro.
Als gigantischer Kohlenstoff-Speicher hat der Ozean etwa ein Drittel des Kohlendioxids aufgenommen, das seit Beginn der Industrialisierung durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gelangte. Dadurch ist der durchschnittliche pH-Wert der Meeresoberfläche von 8,2 auf 8,1 gesunken. Dieser winzige Schritt auf der logarithmischen pH-Skala entspricht bereits einem Anstieg des Säuregehalts um 30 Prozent. Gleichzeitig absorbiert der Ozean mehr als 90 Prozent der Wärme, die durch den zusätzlichen Treib­hauseffekt erzeugt wird.

 

Ökosystem-Leistungen des Ozeans gefährdet

Verschiedene Studien und Analysen legen nahe, dass Ozeanversauerung und -erwärmung wertvolle Leistungen des Ozeans für Ökosysteme und Menschen beeinträchtigen können. Hierzu zählen die Regulierung des Klimas auf der Erde, etwa durch die Speicherung von Kohlenstoff, die Versorgung mit Nahrung, die geistige und körperliche
Erholung des Menschen sowie die Artenvielfalt als Voraussetzung für intakte und funktionsfähige Ökosysteme.

Diese Broschüre fasst BIOACID-Ergebnisse zu diesen Ökosystem-Leistungen für die politische Entscheidungs­findung zusammen. Sie stellt menschliche Interessen neben den Respekt vor der Lebensvielfalt im Ozean. Beide Aspekte liefern deutliche Argumente für die Begrenzung des Klima­­­­wandels.


WEITERLESEN: Das Pariser Klimaziel erreichen // BIOACID Ergebnisse im Überblick


 

Gesellschaftliche Folgen der Ozeanversauerung

Seit Ewigkeiten leben Menschen vom Ozean. Kulturen definieren sich über ihre Nähe zum Meer. Menschen reisen zur Erholung an die See. Rohstoffe sind am Boden des Meeres verborgen. Algen produzieren etwa die Hälfte des Sauerstoffs in der Atmosphäre. Marine Organismen scheiden Substanzen aus, die eines Tages als Wirkstoffe in Arzneien oder Kosmetik helfen können. Der Ozean nimmt Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und mildert den Klimawandel ab. Ein Großteil der Nahrung kommt aus dem Meer.

Viele dieser „Dienstleistungen“ können sich durch den globalen Klimawandel und die Ozeanversauerung ändern. Direkt betroffen von den Veränderungen wären Fischerei und Aquakultur oder Tourismus, der auf maritime Erlebnisse setzt.

Daher haben BIOACID-Forscher haben Vertreter von Fischerei, Tourismus und Umweltschutz in Norwegen befragt: Nehmen sie bereits Auswirkungen im Zuge des globalen Wandels wahr? Wie schätzen sie die möglichen Folgen auf ihre Branchen ein? Gemeinsam mit den Akteuren entwickeln die Wissenschaftler ein Computermodell zu den erwarteten ökologischen Veränderungen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen.

Wenn Fischbestände klimabedingt ihre Größe oder Verbreitung ändern, muss sich der Fischfang daran anpassen. Die kleinen Boote der traditionellen Küstenfischerei können abwandernden Fischbeständen aber oft nicht auf die hohe See hinaus folgen. Im hohen Norden Norwegens verschwinden immer mehr lokale Kabeljaubestände aus den Fjorden. Seevogelpopulationen brechen zusammen. So verlieren die lokale Bevölkerung und besonders das indigene Volk der Samen einen wichtigen Teil ihrer Existenzgrundlage und Kultur. Auch der Tourismus, mit Wal- und Vogelbeobachtung sowie Sportangeln eine wichtige Einnahmequelle im Norden, wird von den Veränderungen im marinen Nahrungsnetz betroffen sein, die der Temperaturanstieg und die Versauerung auslösen.

In diesem Video-Porträt berichtet Dr. Felix Mark, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, wie Atlantischer Kabeljau und Polardorsch in der Arktis konkurrieren.

A Changing Ocean – Internet-Plattform zu den Ergebnissen der Workshops und Interviews mit Stakeholdern aus Norwegen:
www.oceanchange.net/barents


MEHR WISSEN: Was ist Ozeanversauerung? // Versauerung in der Arktis // Plankton // Kaltwasserkorallen // Tropische Korallen


 

Tropische Korallen

Tropische Korallenriffe bedecken insgesamt nur ein Prozent des Ozeans – aber sie beherbergen ein Viertel aller marinen Lebewesen. Bis zu zwei Millionen verschiedene Pflanzen und Tieren finden sich in und an den Riffen. Eine ähnlich hohe Dichte an Arten gibt es allenfalls im tropischen Regenwald.

Für viele Menschen gelten die untermeerischen Oasen allein aufgrund ihrer erstaunlichen Vielfalt und beeindruckenden Schönheit als schützenswert. Doch sie haben auch einen ökonomischen Wert: Viele Speisefischarten nutzen die Riffe als Kinderstube. Die Fischereiwirtschaft ist auf diese Bestände angewiesen, und für die Bevölkerung vor Ort bildet die Riff-Fischerei oft die einzige Einkommensquelle. Andere Lebewesen in den Riffen produzieren Substanzen, die bei der Entwicklung von Arzneimitteln relevant sein könnten. Die Riffe schützen Küsten bei Stürmen auf natürliche Weise vor hohen Wellen. Und schließlich sind sie in vielen Regionen, etwa auf den Florida Keys oder in Australien, ein Magnet für den Tourismus.

Feind Nummer eins der tropischen Korallen ist die globale Erwärmung – ebenfalls eine Folge der Kohlendioxidemissionen. Steigen die Wassertemperaturen um mehr als 1,5 Grad Celsius, werden viele Riffe noch stärker als heute zerstört.

2016 erlebt die dritte sowie stärkste und längste je beobachtete Korallenbleiche: Tropische Korallen beziehen einen Großteil ihrer Energie aus einer Symbiose mit einzelligen Photosynthese treibenden Algen in ihrer Außenhaut. Diese Zooxanthellen geben den Korallen auch ihre bunten Farben. Unter erhöhten Wassertemperaturen werden die Algen jedoch giftig für ihren Wirt – er stößt sie ab, und zurück bleibt nur das gespenstisch weiße Skelett der Korallen.

Dickblättrige Makroalgen können derart geschwächte Korallen leicht und schnell überwuchern: Sie gedeihen unter höheren Temperaturen besser und nutzen zusätzlich gelöstes Kohlendioxid, um ihre Photosynthese zu steigern. Haben sie sich erst im Riff breitgemacht, können sich Korallen kaum noch durchsetzen. Andere Lebewesen finden in den von Algen dominierten Riffen weniger Schutz.

Steinkorallen, die das Fundament jedes bunten Riffs darstellen, bilden ihre festen Skelette aus Aragonit, der löslicheren Form des Kalziumkarbonats (Kalk). Wie ihre Verwandten, die Kaltwasserkorallen, sind sie für ihre Kalkbildung darauf angewiesen, dass Karbonat-Ionen im Wasser zur Verfügung stehen. Auch koralline Algen, die ebenfalls zur Entstehung der Riffe beitragen, benötigen diese Moleküle.

Im saureren Wasser wachsen die beiden Baumeisterinnen langsamer – unter Extrembedingungen langsamer als das Riff erodiert. Zudem bleibt ihr Skelett empfindlicher und damit anfälliger für Stürme oder auch für Organismen, die sich ins Innere der Korallen bohren oder ihre Kalkstrukturen angreifen.

Nur wenige Korallen, etwa der Gattung Porites vermag dem Klimawandel zu trotzen. Untersuchungen an Riffen, die an natürlichen Kohlendioxid-Quellen in Papua-Neuguinea entstanden, zeigen, dass Porites-Korallen ihren körpereigenen pH-Wert auf einem Niveau halten können, der ihnen auch im saureren Wasser die Kalkbildung ermöglicht. Ob ihnen dies auch gelingt, wenn Ozeanversauerung und Temperaturanstieg zusammenwirken, ist noch unerforscht.

 


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Kaltwasserkorallen

Korallen – noch immer ruft ihre Erwähnung Bilder von farbenfroher Vielfalt in lichtdurchflutetem, klarblauem Wasser vors innere Auge. Doch es gibt auch Arten, die ihre Schönheit im Verborgenen entfalten: Kaltwasserkorallen leben in bis zu tausenden Metern Tiefe und oftmals bei einstelligen Wassertemperaturen.

Am weitesten verbreitet ist die Steinkoralle Lophelia pertusa. Von Nord-Norwegen zieht sich ein Band von Riffen entlang der Kontinentalplatten-Ränder bis nach West-Afrika, ein weiteres erstreckt sich zwischen Neuschottland (Kanada) und dem Golf von Mexiko. Selbst im Mittelmeer und in der Karibik findet man sie.

Die meisten Lophelia-Riffe befinden sich zwischen 200 und 400 Metern Wassertiefe. Jedoch ist ein Vorkommen bei nur 39 Metern im inneren Trondheim-Fjord ebenso bekannt wie eine Fundstelle im New England Seamount Chain in mehr als 3000 Metern.

In Tiefen wie diese dringt kein Tageslicht – anders als die meisten tropischen Korallen besitzen Kaltwasserkorallen keine Zooxanthellen als Symbionten, die sie per Photosynthese mit Nahrung versorgen. Sie filtern vorbeischwebendes Plankton aus dem Wasser und gedeihen daher besonders gut in Regionen, in denen starke Strömungen ihnen Futter servieren. Mit Wassertemperaturen zwischen vier und fast 14 Grad Celsius ist die Toleranzspanne von Lophelia pertusa zwar relativ breit, überwiegend findet man sie aber zwischen sechs bis acht Grad.

In den von Lophelia pertusa begründeten Riffen findet sich mit Madrepora oculata eine weitere wichtige Steinkorallen-Art. Auch sie ist eine Kosmopolitin und lebt zwischen 55 und knapp 2000 Metern Wassertiefe. Ihre Zickzack-Zweige sind jedoch zu zerbrechlich, um ausgedehnte unterseeische Dickichte zu bilden.

Zwei Weichkorallen-Arten sind häufig zusammen mit Lophelia anzutreffen: Die rot, pink- oder cremefarbene Paragorgia arborea wird wegen ihrer dicken knollenartigen Zweige auch „Kaugummi-Koralle“ genannt. In deren weicher äußerer Schicht leben unzählige Polypen, die zum Fressen ihre Tentakel so ausstrecken, dass die Zweige wie von Blüten übersät wirken. Die bis zu drei Meter hohe Paragorgia wird im Riff noch von der orangefarbenen Primnoa resedaeformis überragt. Sie wächst bis zu sechs Meter in die Höhe und wurde in Tiefen bis zu 3200 Metern gefunden. Oft klettern Gorgonenhäupter, eine Schlangenstern-Art, in die Primnoa-Zweige, um von dort aus Plankton als Futter einzufangen.

Steinkorallen wie Lophelia pertusa bauen ihr Skelett aus Aragonit auf, einer besonders löslichen Form des Kalziumkarbonats. Daher gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher davon aus, dass ihr Wachstum leidet, wenn mit zunehmender Ozeanversauerung weniger Karbonat-Ionen verfügbar sind und der pH-Wert des Wassers sinkt.

In den Laboren des GEOMAR untersuchten sie deshalb, wie Lophelia pertusa auf verschiedene Aspekte des Klimawandels reagiert: Ozeanversauerung, steigende Wassertemperaturen und ein verändertes Nahrungsangebot.

In einem Langzeit-Experiment zeigte sich, dass das Wachstum nachließ und einzelne Zweige angegriffen wurden, wenn das Wasser mit Aragonit untersättigt war (Ω < 1) – ein Zustand, der nach Modellrechnungen des Weltklimarats im Jahr 2100 erreicht werden könnte, wenn die Emissionen wie bisher fortgesetzt werden. Im etwas wärmeren Wasser hingegen wuchsen die Korallen stärker. Die Kombination beider Faktoren führte dazu, dass der positive Temperatur-Effekt und die Negativ-Folgen der Versauerung ausgeglichen wurden – unabhängig davon, wie viel Nahrung die Tiere erhielten.

Darf mit Blick auf diese Beobachtung Entwarnung gegeben werden, weil Ozeanversauerung und Temperaturanstieg wahrscheinlich gleichzeitig eintreten werden? Aus Sicht der Wissenschaft sind noch viele Fragen zu beantworten, ehe eine Prognose über Lophelia pertusas Zukunft möglich wird. Denn anders als im Labor ist Lophelia im Riff in eine komplexe Lebensgemeinschaft eingebunden, die von vielen wechselseitigen Abhängigkeiten bestimmt wird. Neben steigenden Wassertemperaturen und Versauerung können außerdem weitere Einflüsse zum Tragen kommen. Daher arbeiten Forschende daran, ihre Experimente ins Feld zu übertragen und weitere Organismen darin zu berücksichtigen.


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Gewinner und Verlierer in der Plankton-Gemeinschaft

Von den Mikroorganismen zu hin zu den großen Meeressäugern: Eine Vielzahl von Wechselbeziehungen verbindet Tiere und Pflanzen im Ozean. Im marinen Nahrungsnetz geht es nicht nur ums unmittelbare Fressen und Gefressen-Werden, sondern auch um den Austausch von organischen Nährstoffen und lebenswichtige Funktionen der einzelnen Arten füreinander. Wir Menschen dürfen uns als Teil dieses Systems betrachten: Der Ozean dient uns als Nahrungsquelle und Sauerstoff-Spender, Kohlendioxid-Senke, Fundort wichtiger Ressourcen und vieles mehr. Im Zuge der Ozeanversauerung und durch andere Aspekte des globalen Klimawandels verschieben sich die Rollen im marinen Nahrungsnetz – mit Folgen, die letztlich alle Erdenbewohner zu spüren bekommen werden.

Basis der Lebensgemeinschaft im Meer ist das pflanzliche Plankton (Phytoplankton), das zwischen 0,2 Mikrometer und 0,2 Millimeter groß werden kann. Als Primärproduzenten bauen diese Organismen Biomasse durch Photosynthese unter Einfluss von Licht aus Kohlendioxid und anderen anorganischen Stoffen auf. Dabei setzen sie auch Sauerstoff frei. Tierisches Plankton (Zooplankton) verwertet einen Teil dieser Biomasse als Nahrung. Beide Planktonarten geben aber auch organische Substanzen ins Meerwasser ab, die dort von Bakterien verarbeitet werden und dem System wiederum als Nährstoffe zur Verfügung stehen. Fische ernähren sich ebenfalls vom Plankton und geben ihrerseits organische Stoffe in den Kreislauf zurück.

Mehrere Experimente mit den KOSMOS-Mesokosmen haben gezeigt, dass das kleinste Phytoplankton von dem zusätzlich im Wasser gelösten Kohlendioxid profitiert. Piko- und Nanophytoplankton wächst unter diesen Bedingungen stärker und verbraucht dabei Nährstoffe, die sonst größerem Photosynthese treibendem Plankton, etwa den Diatomeen (Kieselalgen) zur Verfügung stünde. Auch das Zooplankton ist vom Boom an der Basis ausgeschlossen.

Zum Phytoplankton gehören auch einzellige Kalkalgen, Coccolithophoriden wie etwa Emiliana huxleyi. Dieses winzige Klimagenie produziert beträchtliche Mengen an Biomasse und Kalzit – eine relativ stabile Form des Kalziumkarbonats – und setzt ein klimakühlendes Gas frei. Labor- und Freilandstudien haben gezeigt, dass Emiliania huxleyi unter erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen zwar etwas besser Photosynthese betreiben kann, Kalkbildung und Wachstum aber leiden.

Echte Prominente unter den Kalkproduzenten im Zooplankton sind die Flügelschnecken-Arten Limacina helicina und Limacina retroversa. Die „Seeschmetterlinge“ besitzen eine Schale aus Aragonit, einer leicht löslichen Form des Kalziumkarbonats. Wenn im Zuge der Versauerung zukünftig weniger Karbonat-Ionen im Meerwasser enthalten sind wird es die schwimmenden Schnecken zu viel Energie kosten, ihre Gehäuse aufzubauen – sie bleiben dünner und werden porös oder brüchig. Dass mehr Phytoplankton als Nahrung heranwächst, hilft diesen Tieren offenbar nicht. Im Extremfall greift das saurere Wasser die Schalen sogar an und löst sie auf. Größeren Fischen und Meeressäugern, aber auch Seevögeln fehlt dann eine wichtige Nahrungsquelle.

Untersuchungen mit Ruderfußkrebsen (Copepoden) zeigen, dass der Klimawandel Zooplankton in „Fastfood“ von minderer Qualität verwandeln kann: Die Organismen, die etwa 80 Prozent des Zooplanktons ausmachen, profitieren zwar, wenn durch das zusätzlich gelöste Kohlendioxid im Wasser mehr Phytoplankton als Nahrung heranwächst. Insgesamt verschlechtern Versauerung und steigende Wassertemperaturen aber die Zusammensetzung der Fettsäuren im Körper der Krebstierchen. Nahrungsnetze, die von der Futter-Qualität beeinflusst werden – nicht etwa von der puren Masse des Angebots – wären hiervon beeinträchtigt.

Quallen und quallenartige Lebewesen scheinen weniger unter den Aspekten des globalen Klimawandels zu leiden. Die etwa ein Millimeter große Larvacee Oikopleura dioica vermehrt sich im wärmeren oder mit Kohlendioxid angereichertem Wasser besser. Ihr ausgeprägter Hunger kann das Nahrungsgefüge erheblich stören. Doch andererseits fällt mit dem Meeresschnee, den Oikopleura produziert, Kohlenstoff zum Meeresboden herab – und neues Kohlendioxid kann an der Oberfläche verarbeitet werden.

Im Laufe der vergangenen Jahr haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen hervorragenden Eindruck davon bekommen, wie Ozeanversauerung – teilweise in Kombination mit anderen Einflussfaktoren wie Temperaturanstieg, Überdüngung oder Sauerstoffmangel – einzelne Arten beeinflusst. Eine Studien haben darüber hinaus Lebensgemeinschaften betrachtet. Aktuell stehen Forschende vor der Herausforderung, ein vollständigeres Bild zu entwerfen und Reaktionen des marinen Ökosystems auf einen Vielzahl an Stressfaktoren abzuschätzen. Dabei helfen neben Laborstudien auch Experimente mit den KOSMOS-Mesokosmen, den Benthokosmen sowie Beobachtungen in natürlich-versauerten Regionen wie den Korallenriffen Papua-Neuguineas oder auch Modellrechnungen.

 


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Ozeanversauerung in der Arktis

Wegen ihrer geringeren Temperaturen werden die Polarmeere als erstes von der Ozeanversauerung betroffen sein. Das kühlere Wasser nimmt mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf – während Gebiete um den Äquator das Treibhausgas sogar freisetzen.

Gelöste Salze puffern den Effekt der Versauerung ab. Aber wenn die Eisbedeckung schmilzt, sinkt der Salzgehalt, und das süßere Wasser versauert noch schneller. Zudem gibt schmelzendes Eis zusätzliche Wasseroberflächen frei, die ebenfalls Kohlendioxid aufnehmen können.

Die Nahrungsnetze der Arktis und Antarktis sind im Vergleich zu anderen Regionen unseres Planeten eher einfach. Simple Strukturen, die auf wenigen Schlüssel-Organismen wie den empfindlichen Flügelschnecken oder dem hochspezialisierten Polardorsch beruhen, sind verletzlicher als als artenreiche Systeme, in denen mehrere Organismen ähnliche Rollen innehaben und einander leichter ersetzen können.

BIOACID-Studien zufolge sind Flügelschnecken in der Arktis besonders im Winter von Ozeanversauerung bedroht. Das Wasser ist dann kälter und saurer als zu anderen Jahreszeiten, und die Tiere befinden sich in einer Ruhephase, in der sie sich-ändernden Umweltbedingungen noch schlechter entgegenwirken können. Weil Flügelschnecken in dieser Region im Jung-Stadium überwintern, könnten die Populationen rapide sinken.

Biologinnen und Biologen des Alfred-Wegener-Instituts beobachten, wie der Atlantische Kabeljau, der aufgrund steigender Temperaturen nordwärts wandert, in den Gewässern rund um Spitzbergen den dort heimischen Polardorsch bedroht. Kurzfristig könnte dies für einen steigenden Fischereiertrag sorgen – doch langfristig sehen die Forschenden in dieser Region keine Zukunft für den Atlantischen Kabeljau.

Ozeanversauerung, steigende Temperaturen, Eisschmelze und die Versüßung des Oberflächenwassers sind dabei, das Ökosystem in der Arktis zu verändern. Da in dieser Region viele Menschen vom Meer abhängen, könnten Veränderungen dort auch unmittelbarere Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft nach sich ziehen.

In diesem Video-Porträt berichtet Dr. Silke Lischka, Meeresbiologin am GEOMAR, weshalb Flügelschnecken in der Arktis besonders von Ozeanversauerung bedroht sind.


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Was ist Ozeanversauerung?

Seit Beginn der Industrialisierung hat der Ozean etwa 30 Prozent allen Kohlendioxids (CO2) aufgenommen, das durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gelangte.

Einerseits verlangsamt das Meer durch diesen unschätzbaren Service – die Wissenschaft spricht von einer Funktion als „CO2-Senke“ – den globalen Klimawandel. Gäbe es diesen natürlichen Speicher auf unserem Planeten nicht, würde er sich viel stärker und viel schneller erwärmen als wir es heute bereits feststellen. Denn Kohlendioxid ist ein gefährliches Treibhausgas: Gelangt es in die Atmosphäre, reflektiert es dort von der Erde abgestrahlte Wärme, und sie heizt sich auf.

Andererseits löst das Gas im Meer eine folgenreiche chemische Reaktion aus: Kohlensäure entsteht, und das Wasser wird saurer – sein pH-Wert sinkt. Der durchschnittliche pH-Wert der Meeresoberfläche ist im Zuge der Industrialisierung bereits von 8,2 auf 8,1 gesunken, was einem Anstieg des Säuregrads um 26 Prozent entspricht.

Mit zunehmender Versauerung sinkt die Konzentration der Karbonat-Ionen. Doch genau diese Moleküle benötigen kalkbildende Organismen wie Muscheln, Korallen oder bestimmte Plankton-Arten, um ihre Schalen und Skelette aufzubauen. Je weniger Karbonat-Ionen zur Verfügung stehen, desto aufwändiger wird die Kalkbildung. Wie groß der zusätzliche Aufwand ist, hängt zudem davon ab, welche Form des Kalziumkarbonats (Kalk) Organismen produzieren – das leichter lösliche Aragonit oder das etwas beständigere Kalzit.

Auch andere Meereslebewesen, die keine Kalkschalen oder -skelette besitzen, müssen im saureren Wasser mehr Energie aufbringen, um ihre Körperfunktionen zu regulieren. Zusätzliche Energie, die für das Überleben unter saureren Bedingungen benötigt wird, fehlt Organismen dann für ihr Wachstum, die Fortpflanzung oder den Widerstand gegen andere Umweltbelastungen.

Gleichzeitig profitieren einige Spezies von dem zusätzlichen gelösten CO2 – im Nahrungsnetz gibt es Gewinner und Verlierer.

Für den Prozess der Ozeanversauerung sind zwei chemische Reaktionen besonders wichtig, die gleichzeitig ablaufen können:

Die Entstehung von Kohlensäure und die anschließende Freisetzung von Wasserstoff-Ionen:

CO2 + H2O ↔ H2CO3 ↔ H+ + HCO3

(Kohlendioxid + Wasser ↔ Kohlensäure ↔ Wasserstoff-Ionen + Hydrogenkarbonat-Ionen)

Die Reaktion zwischen Karbonat-Ionen, CO2 und Wasser, bei der Hydrogenkarbonat-Ionen entstehen:

CO2 + H2O + CO32- 2↔ HCO3

(Kohlendioxid + Wasser + Karbonat-Ionen ↔ Hydrogenkarbonat-Ionen)


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