Erster Langzeit-Einsatz der Kieler Mesokosmen
Mehr als 60 Wissenschafler arbeiten fünf Monate lang unter dem Dach von BIOACID im schwedischen Gullmarfjord
Von Januar bis Juni 2013 treffen sich mehr als 60 europäische Wissenschaftler in Westschweden für ein bislang einmaliges Langzeit-Experiment zur Ozeanversauerung. Um vom Winter bis in den Sommer hinein zu beobachten, wie sich die marine Lebensgemeinschaft in saurerem Wasser entwickelt, setzen sie die Kieler KOSMOS Mesokosmen im Gullmarfjord ein. Die Arbeiten finden unter dem Dach des deutschen Forschungsprojekts zur Ozeanversauerung BIOACID (Biological Impacts of Ocean ACIDification) statt und werden vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert.
In den vergangenen zehn Jahren zeigten Forschungsarbeiten, dass die Ozeanversauerung – das Absinken des pH-Werts im Wasser durch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre (CO2) – Meereslebewesen in vielerlei Weise beeinflusst. Labor- und Freiland-Experimente konzentrierten sich dabei vor allem auf einzelne Arten. Ihre Reaktionen auf Ozeanversauerung wurden zumeist in Kurzzeitexperimenten untersucht. Doch wie reagieren komplexe Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung und können sie sich über längere Zeiträume an die neuen Umweltbedingungen anpassen? Um diesen Fragen nachzugehen, bedarf es aufwendiger, mehrmonatiger Experimente an natürlichen Lebensgemeinschaften. „Durch eine Weiterentwicklung der Kieler KOSMOS Mesokosmen sind nun erstmals echte Langzeitexperimente möglich“, betont Prof. Ulf Riebesell. Der Professor für Biologische Ozeanografie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert das Projekt BIOACID und die KOSMOS Mesokosmen-Experimente.
Zehn dieser wie überdimensionierte Reagenzgläser im Wasser schwimmenden Konstruktionen setzen die GEOMAR-Forscher nun mit dem Forschungsschiff ALKOR im schwedischen Gullmarfjord aus. Mit ihnen können sie die Reaktionen der Planktongemeinschaft auf die Ozeanversauerung über einen Zeitraum von fünf Monaten verfolgen. In dieser Zeit durchlaufen die zumeist mikroskopisch kleinen Planktonorganismen viele Generationen, und unterschiedliche Artenzusammensetzungen wechseln sich ab“, erklärt Riebesell. „Durch die kurzen Generationszeiten der Planktonorganismen und den schnellen Wandel innerhalb der Lebensgemeinschaft wird es möglich, Anpassungsprozesse in der natürlichen Umgebung zu untersuchen.” Riebesell und seine Kollegen erhoffen sich dadurch, bessere Vorhersagen über die Langzeitfolgen der Ozeanversauerung treffen zu können.
Ein weiterer Schwerpunkt der Studie liegt in den Auswirkungen der Ozeanversauerung auf die Entwicklung von Fischen. Ändert sich die Lebensgemeinschaft an der Basis der Nahrungskette, so könnte dies Folgen für das gesamte Nahrungsgefüge bis hin zu den Fischen haben. Um dieser Frage nachzugehen, setzen Forscher Herings- und Dorschlarven in den Mesokosmen aus und verfolgen deren Entwicklung in Abhängigkeit vom Grad der Ozeanversauerung. Erste Studien an Dorschlarven zeigen, dass deren Entwicklung auch direkt durch Ozeanversauerung beeinträchtigt werden kann.
Die Wissenschaftler aus Deutschland, Schweden, Finnland, Großbritannien und den Niederlanden haben das Sven Lovén Zentrum für Marine Wissenschaften in Kristineberg als Basis für ihre Arbeiten gewählt. Täglich fahren sie von der Station aus mit kleinen Booten zu den Mesokosmen, um Messungen vorzunehmen und Proben für Laboranalysen zu sammeln. „Die verschiedenen Teams untersuchen die Entwicklung und Produktivität der Planktongemeinschaft, Veränderungen im Nahrungsnetz, in den Stoff- und Energieumsätzen sowie in der Produktion klimaaktiver Gase“, beschreibt Riebesell die Bandbreite der Fragen, die das KOSMOS 2013 Experiment abdeckt. „Insgesamt sind in diesem Jahr 62 Molekular-, Evolutions-, Meeres- und Fischereibiologen, Physiologen, Ökologen, Biogeochemiker und Atmosphärenchemiker beteiligt. Dank unseres fächerübergreifenden Ansatzes und der außerordentlich langen Dauer des Experiments hoffen wir auf grundlegend neue Erkenntnisse.“