Gewinner und Verlierer in der Plankton-Gemeinschaft
Von den Mikroorganismen zu hin zu den großen Meeressäugern: Eine Vielzahl von Wechselbeziehungen verbindet Tiere und Pflanzen im Ozean. Im marinen Nahrungsnetz geht es nicht nur ums unmittelbare Fressen und Gefressen-Werden, sondern auch um den Austausch von organischen Nährstoffen und lebenswichtige Funktionen der einzelnen Arten füreinander. Wir Menschen dürfen uns als Teil dieses Systems betrachten: Der Ozean dient uns als Nahrungsquelle und Sauerstoff-Spender, Kohlendioxid-Senke, Fundort wichtiger Ressourcen und vieles mehr. Im Zuge der Ozeanversauerung und durch andere Aspekte des globalen Klimawandels verschieben sich die Rollen im marinen Nahrungsnetz – mit Folgen, die letztlich alle Erdenbewohner zu spüren bekommen werden.
Basis der Lebensgemeinschaft im Meer ist das pflanzliche Plankton (Phytoplankton), das zwischen 0,2 Mikrometer und 0,2 Millimeter groß werden kann. Als Primärproduzenten bauen diese Organismen Biomasse durch Photosynthese unter Einfluss von Licht aus Kohlendioxid und anderen anorganischen Stoffen auf. Dabei setzen sie auch Sauerstoff frei. Tierisches Plankton (Zooplankton) verwertet einen Teil dieser Biomasse als Nahrung. Beide Planktonarten geben aber auch organische Substanzen ins Meerwasser ab, die dort von Bakterien verarbeitet werden und dem System wiederum als Nährstoffe zur Verfügung stehen. Fische ernähren sich ebenfalls vom Plankton und geben ihrerseits organische Stoffe in den Kreislauf zurück.
Mehrere Experimente mit den KOSMOS-Mesokosmen haben gezeigt, dass das kleinste Phytoplankton von dem zusätzlich im Wasser gelösten Kohlendioxid profitiert. Piko- und Nanophytoplankton wächst unter diesen Bedingungen stärker und verbraucht dabei Nährstoffe, die sonst größerem Photosynthese treibendem Plankton, etwa den Diatomeen (Kieselalgen) zur Verfügung stünde. Auch das Zooplankton ist vom Boom an der Basis ausgeschlossen.
Zum Phytoplankton gehören auch einzellige Kalkalgen, Coccolithophoriden wie etwa Emiliana huxleyi. Dieses winzige Klimagenie produziert beträchtliche Mengen an Biomasse und Kalzit – eine relativ stabile Form des Kalziumkarbonats – und setzt ein klimakühlendes Gas frei. Labor- und Freilandstudien haben gezeigt, dass Emiliania huxleyi unter erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen zwar etwas besser Photosynthese betreiben kann, Kalkbildung und Wachstum aber leiden.
Echte Prominente unter den Kalkproduzenten im Zooplankton sind die Flügelschnecken-Arten Limacina helicina und Limacina retroversa. Die „Seeschmetterlinge“ besitzen eine Schale aus Aragonit, einer leicht löslichen Form des Kalziumkarbonats. Wenn im Zuge der Versauerung zukünftig weniger Karbonat-Ionen im Meerwasser enthalten sind wird es die schwimmenden Schnecken zu viel Energie kosten, ihre Gehäuse aufzubauen – sie bleiben dünner und werden porös oder brüchig. Dass mehr Phytoplankton als Nahrung heranwächst, hilft diesen Tieren offenbar nicht. Im Extremfall greift das saurere Wasser die Schalen sogar an und löst sie auf. Größeren Fischen und Meeressäugern, aber auch Seevögeln fehlt dann eine wichtige Nahrungsquelle.
Untersuchungen mit Ruderfußkrebsen (Copepoden) zeigen, dass der Klimawandel Zooplankton in „Fastfood“ von minderer Qualität verwandeln kann: Die Organismen, die etwa 80 Prozent des Zooplanktons ausmachen, profitieren zwar, wenn durch das zusätzlich gelöste Kohlendioxid im Wasser mehr Phytoplankton als Nahrung heranwächst. Insgesamt verschlechtern Versauerung und steigende Wassertemperaturen aber die Zusammensetzung der Fettsäuren im Körper der Krebstierchen. Nahrungsnetze, die von der Futter-Qualität beeinflusst werden – nicht etwa von der puren Masse des Angebots – wären hiervon beeinträchtigt.
Quallen und quallenartige Lebewesen scheinen weniger unter den Aspekten des globalen Klimawandels zu leiden. Die etwa ein Millimeter große Larvacee Oikopleura dioica vermehrt sich im wärmeren oder mit Kohlendioxid angereichertem Wasser besser. Ihr ausgeprägter Hunger kann das Nahrungsgefüge erheblich stören. Doch andererseits fällt mit dem Meeresschnee, den Oikopleura produziert, Kohlenstoff zum Meeresboden herab – und neues Kohlendioxid kann an der Oberfläche verarbeitet werden.
Im Laufe der vergangenen Jahr haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen hervorragenden Eindruck davon bekommen, wie Ozeanversauerung – teilweise in Kombination mit anderen Einflussfaktoren wie Temperaturanstieg, Überdüngung oder Sauerstoffmangel – einzelne Arten beeinflusst. Eine Studien haben darüber hinaus Lebensgemeinschaften betrachtet. Aktuell stehen Forschende vor der Herausforderung, ein vollständigeres Bild zu entwerfen und Reaktionen des marinen Ökosystems auf einen Vielzahl an Stressfaktoren abzuschätzen. Dabei helfen neben Laborstudien auch Experimente mit den KOSMOS-Mesokosmen, den Benthokosmen sowie Beobachtungen in natürlich-versauerten Regionen wie den Korallenriffen Papua-Neuguineas oder auch Modellrechnungen.
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