Ethische Aspekte

Ozeanversauerung ist eine schleichende Bedrohung für den Weltozean und seine Lebewesen. Ausgelöst durch mensch­liche Aktivitäten, wird sich diese Veränderung in der Meereschemie auf die Zukunft der reichen marinen Artenvielfalt und für uns Menschen wichtige Ökosystem-Leistungen aus­wirken. Angesichts der trotz aller Forschung verbleibenden großen wissenschaftlichen Ungewissheiten ist das Vorsichts- oder Vorsorgeprinzip einschlägig. Ozeanversauerung ist ein Thema der Wahrnehmung von Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen in Ansehung des Ozeans.

In der Umweltethik besteht Konsens darüber, dass die heute lebende Generation das Voranschreiten der Ozeanversauerung bekämpfen und, sofern möglich, deren Auswirkungen minimieren sollte. Eines der „Ziele für die Nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen (SDG 14) betrifft den Erhalt des Lebensraums Ozean und den nachhaltigen Umgang mit seinen Ressourcen. Eine konkrete Vorgabe innerhalb dieses Ziels ist, „die Versauerung des Ozeans auf ein Mindestmaß zu reduzieren und ihre Auswirkungen zu begrenzen“. Dieses Prinzip der Übelminimierung muss durch konkrete Ziele spezifiziert werden, die vor allem auch die Treibhausgas-Emissionen betreffen, die für die Versauerung ursächlich verantwortlich sind: Klimaschutz und Meeresschutz hängen hier direkt zusammen.

Ein Hauptargument für dieses Nachhaltigkeitsziel sollte darin bestehen, dass es vorteilhaft für alles Leben auf der Erde ist. Die verbreitetsten Argumente basieren auf einer anthro­pozentrischen Perspektive: Es ist zu unserem eigenen langfristigen Wohlergehen und im Einklang mit mensch­lichen Werten, den Ozean so zu erhalten und zu pflegen, wie wir ihn kennen. Dies betrifft auch nicht-ökonomische Werte wie Naturschönheit, Erholung und Sinn für die „Größe“ des Ozeans. Biozentrische und ökozentrische Sichtweisen, die Lebewesen und Ökosystemen einen moralischen Selbstwert oder Eigenwert zuerkennen, würden noch eindringlicher fordern, den Ozean vor Versauerung zu bewahren.

Risiken abzuschätzen und Gründe zur Besorgnis zu definieren, bedeutet immer auch, durch Werturteile zu bestimmen, welche Schäden oder Verluste drohen und möglichst zu vermeiden sind. Eine methodische Grundlegung solcher umweltethischer Werturteile hinsichtlich der Ozeanversauerung ist daher, zu ermitteln, wie diese marine Ökosystem-Leistungen beeinflusst, die Menschen zugutekommen.

Das methodische Konzept der Ökosystem-Leistungen ist allerdings anthropozentrisch und enthält sich der Frage nach möglichem Selbstwert von Naturwesen. Man unterscheidet zwischen bereitstellenden, regulatorischen und kulturellen Ökosystem-Leistungen. Bereitstellende Services wie die Versorgung mit Nahrung aus dem Meer oder regulierende Services wie die Speicherung von Kohlenstoff sind leicht nachzuvollziehen und als wichtige Güter anzuerkennen.

Kulturelle Leistungen werden allzu oft in ihrer Bedeutung für das menschliche Wohlergehen unterschätzt, weil sie schwer zu messen oder in Geldsummen auszudrücken sind. Eine „tiefe“ anthropozentrische Umweltethik argumentiert, dass diese Werte gute Gründe für anspruchsvollen Naturschutz einschließlich des Schutzes des Ozeans sind.

Zum Beispiel kann das Vorhandensein eines Korallenriffs die kulturelle Identität, Traditionen und die Lebensgrundlage einer Gemeinschaft über Generationen prägen und gleichzeitig für viele Menschen einen überragenden ästhetischen oder emotionalen Wert besitzen. Den Verlust solcher Riffe würde nicht nur die lokale Bevölkerung und andere, die ideelle Werte mit dem Riff verbinden, direkt zu spüren bekommen – auch kommende Generationen wären nach­teilig betroffen.

Das Problem der Ozeanversauerung nötigt uns – neben anderen Problemen – den Abschied von der letzten großen Unendlichkeitsillusion auf: Selbst den Ozean können wir Menschen tiefgreifend und nachteilig verändern. Dieser Abschied ist ent-täuschend und er erlegt zugleich Verant­wortung auf. Willkommen im Anthropozän.

Frederike Böhm, Prof. Konrad Ott | Philosophie und Ethik der Umwelt, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel


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