Evolution im Ozean
GEOMAR-Forscher weisen nach: Phytoplankton passt sich an Ozeanversauerung an
Die einzellige Kalkalge Emiliania huxleyi zeigte im einjährigen Laborversuch großes Potential, sich an Umweltveränderungen im Meer anzupassen. In einem aufwändigen Langzeitexperiment gelang es Forschern des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Kulturen der biogeochemisch wichtigen Kalkalge über 500 Generationen unter versauerten Bedingungen des zukünftigen Ozeans zu halten. Auf diese Weise angepasste Populationen zeigten deutlich bessere Wachstums- und Kalkbildungsraten als die Kontrollpopulationen. Damit konnte erstmals der Beweis erbracht werden, dass eine evolutionäre Anpassung an die sinkenden pH-Werte im Ozean möglich ist. Grund zur Entwarnung sehen die Forscher aber noch nicht. Die Studie erscheint in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Geoscience.
Kohlendioxid-Emissionen, wie sie bei der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle entstehen, haben neben den Auswirkungen auf das globale Klima einen weiteren beunruhigenden Effekt: Ozeanversauerung – das „andere CO2 Problem“: Kohlendioxid (CO2) löst sich im Meerwasser und reagiert zu Kohlensäure, der pH-Wert sinkt. Aus zahlreichen Kurzzeit-Experimenten ist bekannt, dass viele kalkbildende Arten wie Korallen, Muscheln und Schnecken, aber auch mikroskopisch kleines Plankton von der Versauerung der Ozeane betroffen sind. Ob sich Organismen längerfristig durch evolutionäre Anpassung auf die Ozeanversauerung einstellen können, war bislang jedoch nicht bekannt. Die Ergebnisse der Wissenschaftler des GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigen nun erstmals, dass sich die einzellige Kalkalge Emiliania huxleyi zumindest im Laborexperiment an zukünftige pH-Bedingungen anpassen und damit die negativen Konsequenzen der Ozeanversauerung teilweise abwenden kann. Ihre Ergebnisse stellen Dipl.-Biol. Kai Lohbeck, Prof. Dr. Ulf Riebesell und Prof. Dr. Thorsten Reusch in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Geoscience vor.
Für das Experiment isolierte Doktorand Kai Lohbeck im norwegischen Raunefjord neue Kulturen von Emiliania huxleyi. Im Klimaschrank wurden sie CO2-Bedingungen ausgesetzt, wie sie für das nächste Jahrhundert prognostiziert werden. Über den Zeitraum von einem Jahr, in dem der sich schnell reproduzierende Einzeller etwa 500 Generationen hervorbringt, bestimmten die Biologen regelmäßig Wachstums- und Kalkbildungsraten. Das Ergebnis: Im Vergleich zu den Kontroll-Kulturen, die unter heutigen CO2-Verhältnissen gehältert wurden, vermehrten sich die angepassten Kulturen unter den für die Zukunft prognostizierten Bedingungen deutlich besser. Eine weitere wichtige Beobachtung war für die GEOMAR-Forscher die Anpassung bei der Kalkbildung. „Die kleinen Kalkplättchen, aus denen Emiliania huxleyi ihre schützende Hülle aufbaut, waren unter erhöhten CO2-Bedingungen zunächst dünner und leichter. Das hatten wir erwartet“, beschreibt Kai Lohbeck die Entwicklung. „Wir waren aber sehr überrascht, dass die Kalkbildungsrate sich bereits nach 500 Generationen wieder dem ursprünglichen Niveau annäherte.“
Dabei erfolgte die evolutive Anpassung sowohl durch eine Sortierung bereits vorhandener Algen-Genotypen, als auch durch das Auftreten neuer vorteilhafter Mutationen. Eine solche Anpassung wurde bisher noch nicht beobachtet, erklärt der Kieler Evolutionsökologe Prof. Thorsten Reusch. „Mit dieser Untersuchung wurde erstmals nachgewiesen, dass Evolutionsprozesse unter bestimmten Voraussetzungen der fortschreitenden Ozeanversauerung entgegenwirken können. Damit konnten wir auch zeigen, dass Evolutionsprozesse so schnell ablaufen können, dass diese in Zukunft unbedingt bei biologischen Prognosen der Auswirkungen des globalen Wandels berücksichtigt werden müssen“.
Anlass zur Entwarnung gibt es deshalb allerdings nicht. Das Potenzial zur evolutionären Anpassung ist bekanntermaßen am größten bei Arten mit hohen Populationsdichten und kurzen Generationszeiten. Beides trifft auf Emiliania zu – ein Grund, warum die Kieler Forscher diese Art für ihre Untersuchungen gewählt haben. Langlebige Arten und solche mit geringer Zahl an Nachkommen pro Generation weisen in der Regel ein weit geringeres Anpassungsvermögen auf. „Die Grenzen der evolutionären Anpassung werden bei einem Blick in die Erdgeschichte deutlich“, erläutert Prof. Ulf Riebesell. „Vergleichbare Veränderungen der Umweltbedingungen wie die aktuelle Ozeanversauerung haben in der Vergangenheit wiederholt zu Massenaussterben geführt, und dies obwohl die Veränderungen damals zehn bis hundert Mal langsamer abliefen als heute.“
Offen bleibt auch die Frage, ob die im Labor gezeigte evolutionäre Anpassung an Ozeanversauerung auch auf natürliche Bedingungen übertragbar ist, wo eine Vielzahl an Umweltfaktoren und ökologische Wechselwirkungen auftreten. „Wie sich Emiliania in ihrem natürlichen Umfeld bei Ozeanversauerung entwickelt, wollen wir möglichst bald in Feldstudien untersuchen“, ergänzt Kai Lohbeck. So sind im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekts BIOACID (Biological Impacts of Ocean ACIDification) für 2013 Experimente mit den Kieler Mesokosmen im Skagerrak geplant.
Originalarbeit:
Lohbeck, Kai T., Ulf Riebesell, Thorsten B.H. Reusch, 2012: Adaptive evolution of a key phytoplankton species to ocean acidification. Nature Geoscience, doi: 10.1038/ngeo1441