18. Dezember 2014

Neue Schwerpunkte für die Erforschung der Ozeanversauerung

Experten ziehen Bilanz und zeigen zukünftige Herausforderungen auf

Damit die Erforschung der Ozeanversauerung weiterhin große Fortschritte machen kann, müssen auseinanderstrebende Bereiche zu einer ganzheitlichen Betrachtung zusammenfinden, fordern Prof. Ulf Riebesell vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Jean-Pierre Gattuso vom französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS). Die beiden international anerkannten Experten ziehen im Fachmagazin „Nature Climate Change“ Bilanz und zeigen neue Herausforderungen auf.

Das Thema Ozeanversauerung hat in den vergangenen zehn Jahren einen eindrucksvollen Sprung auf die wissenschaftliche Agenda absolviert. Auch Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit wird „Das andere Kohlendioxid-Problem“ zunehmend bewusst. Zeit für den nächsten Schritt: In der Januar-Ausgabe des Fachmagazins „Nature Climate Change“ rufen Prof. Ulf Riebesell, Professor für Biologische Ozeanografie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, und Dr. Jean-Pierre Gattuso vom französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) die internationale Wissenschaftsgemeinde auf, ihre Kräfte zu bündeln. Nur so ließen sich zukünftige Herausforderungen meistern. Nach Einschätzung der beiden Experten müssen Reaktionen ganzer Lebensgemeinschaften, die Auswirkungen der Versauerung in Kombination mit anderen Stressfaktoren sowie die Chancen einer Anpassung durch Evolution jetzt verstärkt untersucht werden. „Die auseinanderstrebenden Bereiche der Versauerungs-Forschung müssen zu einer ganzheitlichen Betrachtung zusammenfinden“, unterstreicht Prof. Riebesell.

Für die Forscher liegt auf der Hand, dass Ozeanversauerung nicht als einziger Stressfaktor auftritt. Temperaturanstieg, Sauerstoff-Rückgang, Überdüngung, Verschmutzung und andere Faktoren beeinflussen die Entwicklung mariner Organismen und Lebensgemeinschaften zusätzlich. „Die Effekte können miteinander oder gegeneinander wirken – das müssen wir ausloten“, so Prof. Riebesell. „Aber je mehr Parameter ein Experiment abdecken soll, desto größer wird der Aufwand. Weil immer mehr Werte voneinander differieren können, sind Ergebnisse ähnlicher Studien außerdem schwerer als bisher zu vergleichen und zu verifizieren.“

Wie einzelne Arten auf Ozeanversauerung allein reagieren, ist mittlerweile recht gut erforscht: Kalkbildende Organismen wie Korallen, Muscheln oder Schnecken geraten unter Stress. Sie benötigen zusätzliche Energie, um der Belastung standzuhalten. Diese Energie fehlt dann für andere biologische Prozesse, etwa das Wachstum oder die Fortpflanzung. Eine wichtige Frage sei bisher jedoch so gut wie unbeantwortet, urteilt der Kieler Meeresbiologe. „Selbst wenn man die Reaktionen aller einzelnen Arten kennen würde, könnte man nicht absehen, wie sich diese im Gefüge einer Lebensgemeinschaft ausprägen. Dafür sind Informationen über Konkurrenz-Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Nahrungsebenen unerlässlich.“

Laborexperimenten zufolge ist eine Anpassung durch Evolution möglich. Je schneller sich eine Art vermehrt und je größer ihre Population ist, desto besser stehen die Chancen, dass sie sich durch Selektion oder Mutation an neue Lebensbedingungen anpassen kann. „Die Frage ist jedoch: Läuft die Adaption schnell genug ab, damit ein Organismus seine Funktion innerhalb der sich wandelnden Lebensgemeinschaft aufrechterhalten kann? Außerdem ist ungeklärt, inwiefern sich Laborergebnisse auf die Natur übertragen lassen“, erklärt Prof. Riebesell.

Damit die Erforschung der Ozeanversauerung weiterhin große Fortschritte machen kann, sei es nötig, ihre drei auseinanderstrebenden Entwicklungszweige – die Kombination von Umweltfaktoren, Interaktionen zwischen den verschiedenen Ebenen des Nahrungsnetzes und die Anpassung durch Adaption – zusammenzuführen, urteilen die beiden Wissenschaftler. „Dies erfordert interdisziplinäre Anstrengungen, zum Beispiel im Rahmen von Langzeit-Experimenten, die die Auswirkungen mehrerer Stressfaktoren über viele Generationen hinweg auf der Ebene von Lebensgemeinschaften untersuchen. Laborexperimente müssen in enger Verzahnung mit Feldstudien und Modellrechnungen stattfinden“, rät Prof. Riebesell. „Hier sind auch die Wissenschaftsorganisationen gefordert, Forschungsmittel verstärkt für national und international vernetzte, disziplinübergreifende Projekte bereitzustellen.“ Da die Zeit drängt, sollte jetzt, da grundlegende Konzepte bekannt sind, ein besonderes Augenmerk auf gesellschaftlich relevante Aspekte gelegt werden. „Nur so wird es möglich sein, schließlich auch Handlungsoptionen für politische Entscheidungen und Management-Strategien zu geben.“

Originalpublikation:
Riebesell, U., Gattuso, J.-P. (2015), Lessons learned from ocean acidification research. Reflection on the rapidly growing field of ocean acidification research highlights priorities for future research on the changing ocean. Nature Climate Change 5, 12-14 (2015), doi: 10.1038/nclimate2456

Links:

Ocean Acidification International Coordination Centre (OA-ICC)
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS)