Ostsee-Tang im Doppel-Stress
Umweltbelastungen müssen in Kombination betrachtet werden
Steigende Wassertemperaturen und ein verstärkter Nährstoff-Eintrag könnten dazu führen, dass der Bestand des Blasentangs Fucus vesiculosus in der Ostsee in Zukunft deutlich zurückgeht. Dies zeigen Experimente von Meereswissenschaftlerinnen aus Kiel und Rostock. Die Ergebnisse führen vor Augen, wie wichtig es ist, die Reaktionen von Organismen auf eine Kombination mehrerer Umweltfaktoren zu untersuchen, betonen die Biologinnen in zwei aktuellen Veröffentlichungen. Weil Fucus-Wälder langfristig Nährstoffe speichern und als Kinderstube für ökonomisch wichtige Fischarten wie den Dorsch dienen, könnte ihr Rückgang Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nach sich ziehen.
enn an den steinigen Küsten der Ostsee artenreiche Lebensgemeinschaften entstehen, hat der Blasentang Fucus vesiculosus perfekte Basisarbeit geleistet. Indem er Kiesel und Felsen besiedelt, schafft er Lebensräume für viele weitere Arten. Andere Algen wachsen auf dem Blasentang und werden von Schnecken, Meeresasseln und Flohkrebsen abgeweidet. Außerdem leben in den untermeerischen Fucus-Wäldern Krebstiere, Muscheln und räuberische Fische, sowie viele kleinere für das Ökosystem Ostsee wichtige Organismen. Fucus vesiculosus ist einer der Hauptproduzenten organischen Materials in der Ostsee und spielt eine bedeutende Rolle für den Artenreichtum und die Stoffkreisläufe im Küstenmeer. Im Zuge des Klimawandels könnten diese Funktionen auf Grund einer Serie von Reaktionen verloren gehen.
Laut einer Studie von Meeresbiologinnen des GEOMAR Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Rostock im Rahmen des Deutschen Forschungsverbunds zur Ozeanversauerung BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification) addieren sich die bereits bekannten negativen Effekte von lokalen Nährstoffeinträgen mit denen der steigenden Wassertemperaturen so weit auf, dass der Blasentang in der Ostsee stark zurückgehen könnte. „Es ist wichtig, die Auswirkungen einer Kombination globaler und lokaler Umweltfaktoren auf ganze Ökosysteme zu betrachten“, betont Dr. Franziska Julie Werner. Die Post-Doktorandin der Marinen Ökologie am GEOMAR ist Haupt-Autorin zweier Studien, deren Ergebnisse in den Fachmagazinen Limnology and Oceanography und Oecologia veröffentlicht sind. „Unsere Untersuchungen verdeutlichen außerdem, dass das Nährstoffmanagment der Ostsee weiterhin verbessert werden muss – ein Faktor, der im Gegensatz zum Temperaturanstieg auch durch nationales Management in den Griff zu bekommen sein müsste.“
Für die beiden Experimente wurde zu verschiedenen Jahreszeiten Blasentang aus der Kieler Förde samt Begleitorganismen wie auf ihnen lebende, kleinere Algenarten und Weidegänger wie Wasserasseln, Flohkrebse und Strandschnecken in die Kieler Benthokosmen eingebracht – zwölf Versuchstanks mit einem Fassungsvermögen von je anderthalb Kubikmetern Wasser. Da über ein Durchfluss-System kontinuierlich frisches Wasser aus der Förde in die Benthokosmen gepumpt wurde, entsprachen die Grundbedingungen in den Tanks stets den natürlichen Gegebenheiten. Für die erste Studie wurden in einigen Versuchsbehältern die Temperatur und die Konzentration an Kohlendioxid (CO2) auf Werte angehoben, die für die Zukunft in der Ostsee erwartet werden. Sie lief, aufgeteilt in vier Phasen, über ein ganzes Jahr. Die zweite Studie untersuchte den Einfluss eines erhöhten Nährstoffeintrags in Kombination mit „Treibhaus-Bedingungen“, einer kombinierten Erhöhung von Temperatur und Kohlendioxid-Konzentration.
Im ersten Experiment beeinflussten die erhöhten CO2-Konzentrationen den Blasentang zu keiner Jahreszeit weder positiv noch negativ. Die erhöhten Temperaturen hatten hingegen einen deutlich negativen Effekt auf das gesamte Fucus-System, insbesondere im Sommer. Die Biomasse des Blasentangs war nach sechs Wochen unter erhöhten Temperaturen im Durchschnitt um die Hälfte geringer als bei Fucus, der unter heutigen Bedingungen gehalten wurde. Das zweite Experiment bestätigte die Beobachtungen. Kam jedoch obendrein ein Überangebot an Nährstoffen hinzu, nahm die Biomasse sogar um 80 Prozent ab. „Die negativen Folgen traten bereits ein, wenn wir die Nährstoffmenge nur ein wenig anhoben“, berichtet Dr. Werner. „Kleinere Algenarten, die auf dem Fucus wuchsen, hatten aufgrund der zusätzlichen Nährstoffe deutlich zugelegt. Schnecken, Asseln und Flohkrebse weideten diese Epiphyten nicht mehr ab, weil sie ihrerseits unter den erhöhten Temperaturen litten. Der Fucus selbst litt sowohl unter der erhöhten Temperatur als auch unter dem verstärkten Überwuchern seiner Oberfläche durch die Epiphyten. Das ist ein doppelt negativer Effekt.“
Die Überdüngung der Küstengewässer gilt als eines der ältesten Umweltprobleme der Ostsee. Bislang haben europäische Richtlinien zum Wassermanagement ihr Ziel eines guten chemischen und ökologischen Zustands nicht vollständig erreicht, argumentieren die Wissenschaftlerinnen. Erklärbar sei dies zum einen dadurch, dass sich das Wasser in der Ostsee vergleichsweise langsam austauscht und Nährstoffe länger im System zirkulieren. Zum anderen sei das Einzugsgebiet der Ostsee durch eine intensive Landwirtschaft geprägt. Überdüngte Felder und intensive Tierhaltung führen weiterhin zu einem Nährstoffüberschuss, der früher oder später im Meer landet. „Mit dem Klimawandel gehen zudem nicht nur veränderte Temperaturen einher, sondern auch veränderte Niederschläge“, erklärt Dr. Werner. „Ein verstärkter Zulauf aus Flüssen durch größere Regenmengen könnte einen erhöhten Eintrag von Nährstoffen aus der industriellen Landwirtschaft in die Küstengewässer der Ostsee mit sich bringen.“
Das Experiment der Kieler Meeresbiologinnen zeigt, wie lokale Faktoren wie die Überdüngung die Folgen globaler Faktoren wie Temperaturanstieg und Versauerung verstärken können. „Beim Management von Ökosystemen wie der Ostsee müssen daher gebietsspezifische Faktoren berücksichtigt werden“, rät Dr. Werner. „Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass sich heutige Maßnahmen zur Verringerung der Nährstoffeinträge in die Ostsee in der Zukunft auszahlen könnten, weil sie Schlüsselarten wie dem Blasentang helfen könnten, besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtzukommen und ihre Ökosystemleistungen aufrecht zu erhalten.“ Für eine umfassende Prognose, müssten jedoch noch viele weitere Faktoren eingerechnet werden.
Originalveröffentlichungen:
Werner, F. J., Graiff, A., Matthiessen, B. (2016), Even moderate nutrient enrichment negatively adds up to global climate change effects on a habitat-forming seaweed system. Limnology and Oceanography, doi: 10.1002/lno.10342
Werner, F.J., Graiff, A., Matthiessen, B. (2016): Temperature effects on seaweed-sustaining top-down control vary with season. Oecologia. 2016 Mar 180(3):889-901, doi: 10.1007/s00442-015-3489-x