BIOACID II – Konsortium 1: Pelagische Ökosysteme unter Ozeanversauerung: Ökologische, biogeochemische und evolutionäre Reaktionen
Leitung: Prof. Dr. Ulrich Sommer (GEOMAR, Kiel)
Die Bedeutung des pelagischen Systems des Ozeans steht außer Zweifel. Der Ozean deckt 70 Prozent der Erdoberfläche ab und trägt ca. 50 Prozent zur globalen Primärproduktion bei. Das menschliche Interesse am pelagischen System – dem Freiwasser – basiert auf den folgenden Dienstleistungen des Ökosystems:
- Biologische Kohlenstoff-Pumpe: Die Produktion organischer Substanz in der sonnenbeschienenen Oberfläche des Ozeans und deren Export in die Tiefe ist der wichtigste Prozess zur Sequestrierung von atmosphärischem CO2 im tiefen Ozean.
- Fischerei: Die pelagische Produktion bildet die Nahrungsgrundlage der pelagischen Fischerei.
- Erholungswert des Meeres: Eine Fehlfunktion des pelagischen Ökosystems kann zu einer schädlichen Algenblüte (Harmful Algae Blooms, HABs) führen, die ernsthaft den Erholungswert des Meeres beeinträchtigen könnte.
Bis jetzt sind ausreichend Beweise für die Auswirkungen der Ozeanversauerung auf einzelne planktonische Arten gefunden worden. Wie zuvor vermutet, sind die kalkbildenden Gruppen die empfindlichsten. Darüber hinaus gibt es vereinzelt Beweise dafür, dass versauerungsresistente Phytoplanktonarten mit biochemischen Veränderungen reagieren und damit ihren Nährwert für Zooplankton reduzieren, und somit den Aufwärts-Transfer von Materie und Energie im Nahrungsnetz beeinträchtigen. Aus der Perspektive der Ökosystem-Dienstleistungen stellt dies einen Verstärkungseffekt dar. Es ist nicht bekannt, in welchem Umfang dieser Effekt durch alternative trophische Wege kompensiert werden kann, z.B. durch Aufnahme von Protisten durch Mesozooplankton („trophic upgrading“; Klein Breteler, 1999), was diese Wirkung dämpfen könnte. Insgesamt wissen wir noch nicht, in welchem Umfang die Wechselwirkungen und Feedback- Mechanismen innerhalb des pelagischen Ökosystems als Verstärker oder Stoßdämpfer der Versauerungseffekte wirken.
Während die Auswirkungen der Versauerung und anderer Arten von Umweltveränderungen (z.B. Klimaerwärmung, Eutrophierung) zumeist isoliert voneinander untersucht wurden, gibt es einen Mangel an Studien, wie diese Faktoren zusammen wirken. Theoretisch gesehen sind additive, synergistische (mehr als additiv) und antagonistische (weniger als additiv, d.h. effektminderende) Wechselwirkungen von Effekten möglich, aber a priori ist eine solche Kenntnis nicht ohne die Untersuchung der Auswirkungen in einem kreuzweise faktoriellen Versuchsaufbau möglich. Eine hohe Priorität sollte den Faktoren CO2 und Erwärmung gegeben werden, da beide unweigerlich durch den Treibhauseffekt verknüpft sind.
Jüngste Forschungen in der evolutionären Ökologie legen nahe, dass die evolutionäre Anpassung der Arten einen potenziellen Dämpfungsmechanismus (Hoffmann und Sgro, Nature, 2011) darstellen könnte. Sie würde damit das Fortbestehen der Spezies gewährleisten, obwohl die Umweltbedingungen sich außerhalb der gegenwärtigen Nische einer Spezies bewegen. Im Umgang mit Mikroben mit kurzer Entwicklungszeit, z.B. einzelligem Phytoplankton, sind Evolutionsexperimente der „Gold-Standard“ zum Nachweis der Evolvierbarkeit (Collins und Bell, 2004), doch die meisten von ihnen sind bisher mit einzelnen Spezies durchgeführt worden, die einem einzelnen und konstanten unterworfen wurden. Es ist nicht bekannt, ob eine ähnlich rasche Entwicklung auch in natürlichen Ökosystemen stattfindet, in denen das Zusammenspiel mit anderen Arten zusätzliche und zeitlich variable Selektionsfaktoren mit sich bringt, die außerhalb der Veränderungen der physikalisch-chemischen Umwelt liegen. Vorläufige Modellierungsergebnisse zeigen, dass eine Vielfalt auf Artenebene die adaptive Evolution verhindern könnte (De Mazancourt et al., 2008), jedoch fehlen empirische Daten dazu gänzlich.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass wir eine Ökosystem-Perspektive und eine Kombination der Faktoren CO2 und Erwärmung in BIOACID II brauchen.
Zielsetzung
Um die Auswirkungen der Ozeanversauerung in Kombination mit Ozeanerwärmung auf die Ökosystem-Dienstleistungen, die vom pelagischen System bereitgestellt werden, vorherzusagen, müssen wir verstehen, wie sie die Verteilung von Energie und durch Primärproduktion fixierte Materie in den verschiedenen konkurrierenden Pfaden des pelagischen Systems beeinflussen: Nahrungskette, mikrobieller Kreislauf, Export und Produktion von refraktär gelöstem organischem Material (dissolved organic matter, DOM). Wir brauchen Kenntnisse über den Umfang der Auswirkungen von Ozeanversauerung in Kombination mit Meereserwärmung auf die Häufigkeit, das Ausmaß und die Toxizität von schädlichen Algenblüten. All diese Veränderungen könnten durch evolutionäre Anpassung gedämpft werden, die jedoch verstanden werden müssen, bevor verlässliche Vorhersagen möglich sind.
Wir schlagen daher folgende übergreifende Forschungshypothesen vor:
- Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird die Kohlenstoffsequestrierung über Veränderungen des vertikalen Flusses und/oder die Aufteilung zwischen gelöster und partikulärer organischer Substanz reduzieren.Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird die Rolle des mikrobiellen Umwegs gegenüber der klassischen Nahrungskette erhöhen.
- Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird den mikrobiellen Umsatz organischer Substanz und die natürliche Freisetzung von CO2 aus dem Meer verstärken.
- Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird die Produktion von bio-resistentem DOM verändern.
- Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird die Qualität der mikrobiellen Nahrung (Anteil an schlecht essbaren Algen, Stöchiometrie, Fettsäuren) für Mesozooplankton verschlechtern, insbesondere für Copepoden, und damit verschlechtert sich die Nahrungsgrundlage von pelagischen Fischen.
- Die Versauerung der Meere und die Kombination der Ozeanversauerung mit Erwärmung wird das Auftreten, das Ausmaß und die Toxizität von schädlichen Algenblüten erhöhen.
- Die Reaktion der höheren Aggregationsebenen (trophische Ebenen, Gesamtökosystem) wird weniger ausgeprägt sein als die Reaktionen einzelner Arten, die in BIOACID I festgestellt wurden.
- Kurzlebige Arten werden in der Lage sein, Veränderungen der Umwelt über adaptive Evolution zu folgen und das lokale Aussterben verhindern, während langlebige Spezies das nicht können.
- Die evolutionäre Anpassung, eingebettet in experimentelle Ökosysteme, kann alle oben genannten kurzfristigen Änderungen modulieren. Die Anpassung wird jedoch im Kontext eines Ökosystems langsamer vor sich gehen als in Experimenten mit einzelnen Arten/einzelnen Faktoren.
Wir sind uns bewusst, dass einige der vorhergesagten Reaktionen möglicherweise von Besonderheiten der regionalen Ökosysteme, wie z.B. dem Vorhandensein/Nichtvorhandensein von kalkbildendem Plankton, N2-Fixierern oder toxischen Dinoflagellaten abhängen. Deshalb schlagen wir vor, unsere experimentellen Studien in drei verschiedenen Ökosystemen durchzuführen: im subtropischen Nordatlantik in der Nähe von Gran Canaria als Vertreter des oligotrophen Ozeans, in der Nordsee als Vertreterin der eutrophen Küstenregionen, und in der Ostsee als Vertreterin der eutrophen Küstengewässer mit reduzierter Alkalinität und Anfälligkeit für schädliche Blüten der N2-fixierenden Cyanobakterien.
Labor-Experimente lassen vermuten, dass sich bestimmte Arten durch Evolution an den Klimawandel anpassen können. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Forschungsansätze
Als Konsequenz unseres Ökosystem-orientierten Ansatzes werden die Kernaktivitäten des Konsortiums aus Mesokosmos-Experimenten bestehen, wobei die Reaktion des Planktonanteils des pelagischen Nahrungsnetzes und die biogeochemischen Prozesse als Reaktion auf die experimentelle Beeinflussung untersucht werden können. Wir werden zwei Arten von Mesokosmen-Systemen verwenden:
Die großen Systeme (Kosmos: Kiel Offshore Mesocosms for Future Ocean Simulation) haben ein Volumen von bis zu 80 m3 und werden in-situ vor Gran Canaria (im subtropischen Atlantik) und im Gullmar Fjord in der Nähe von Kristineberg, Schweden (Nordseegewässer) eingesetzt werden.
Die kleinen Systeme (Kiel Indoor Mesocosms) haben ein Volumen von 1,4 m3 und sind in vier temperatur-kontrollierten Räumen installiert, wodurch eine faktorielle Kombination aus CO2 und Temperaturänderungen ermöglicht wird. Sie werden in zwei Ostsee-Experimenten eingesetzt werden (eines während der Cyanobakterien-Saison, und eines während der Kieselalgen-dominierten Saison).
Jede der ökologischen und biogeochemischen APs des Konsortiums wird an zwei oder mehr Mesokosmos-Experimenten teilnehmen, während die evolutionären APs an mindestens einem Mesokosmos-Experiment teilnehmen und parallel dazu Experimente mit Einzel-Spezies durchführen werden, um die evolutionäre Geschwindigkeit ihrer Zielarten in Isolation mit der evolutionären Geschwindigkeit bei Einbettung in einem gestressten Ökosystem zu vergleichen.
Das Kosmos-Experiment im Gullmar Fjord (Februar bis Juli 2013) wird aus neun Mesokosmen mit pCO2-Niveaus zwischen Umgebungsbedingungen bis ca. 1.800 μatm bestehen. Die ungewöhnlich lange Dauer erlaubt eine Folge von Algenblüten und ist besonders attraktiv für die evolutionären APs. Die Planktongemeinschaft im Gullmar Fjord enthält mehrere Dinoflagellaten mit dem Potenzial, schädliche Blüten zu bilden. Das Kosmos-Experiment vor der Küste von Gran Canaria (für das Frühjahr 2014 geplant) wird aus neun Mesokosmen mit pCO2-Niveaus zwischen Umgebungsbedingungen bis ca. 1.800 μatm bestehen. Es wird während einer Saison durchgeführt, wenn Stickstoff-fixierende Cyanobakterien und kalkbildendes Phytoplankton (Coccolithophoriden) einen wesentlichen Beitrag zur Phytoplankton-Gemeinschaft liefern.
Das Ostsee-Herbst-Experiment (September/Oktober 2012) wird 12 Mesokosmen umfassen, die aus einer Kombination von drei pCO2-Niveaus von 390, 750 und 1.200 μatm und zwei Temperaturniveaus bestehen, die jeweils zweimal repliziert werden. Das Experiment fällt in eine Jahreszeit, in der Diatomeen und Dinoflagellaten der Phytoplankton-Gemeinschaft dominieren.
Das Ostsee-Sommer-Experiment (Juli/August 2013) wird 12 Mesokosmen umfassen, die aus einer Kombination von drei CO2-Niveaus von 390, 750 und 1.200 μatm und zwei Temperaturniveaus bestehen, die jeweils zweimal repliziert werden. Das Experiment fällt in eine Saison, wenn diazotrophe Cyanobakterien zu einer schädlichen Blüte führen können.
Die evolutionären APs werden Bakterien, Phytoplankton und eine Copepoden-Art als Modell- Organismen benutzen, d.h. mit einem Gradienten in Generationszeiten (von weniger als einem Tag bis zu mehreren Wochen) und von asexuell reproduzierenden einzelligen Arten zu Metazoen mit obligater Sexualität.
Mesokosmen, die wie riesige Reagenzgläser im Wasser schwimmen, isolieren bis zu 80 Kubikmeter Wasser für Langzeitversuche. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR