Gibt es Hoffnung für Lophelia pertusa?

Fallbeispiel

Kalt und dunkel ist die Welt der Lophe­lia pertusa – und dennoch überraschend farbenfroh. Anders als tropische Korallen werden die Schönheiten aus der Kälte nicht von Photosynthese treibenden Algen versorgt. Sie fangen vorbeischwebendes Plankton. Weil sie kein Licht zum Leben benötigen, entfalten sie ihre Pracht auch in mehreren hunderten bis tausenden Metern Wassertiefe.

Als Riffbildnerin formt Lophelia pertusa ein festes Geflecht aus schneeweißen, orange- oder rosafarbenen Zweigen. Dazwischen erheben sich gelbe Schwämme und pinkfarbene „Kaugummikorallen“, oft dicht besetzt mit vielarmigen Gorgonenhäuptern. Muscheln filtern, gut im Geäst verborgen, Nahrungspartikel aus dem Wasser. Springkrebse und Garnelen krabbeln durch den bunten Wald, und Fische ziehen ihre Bahnen über dem Gewimmel. Rund um den Globus verstecken sich in den Tiefen der Meere solch eindrucksvolle Lophelia-Riffe, die tropischen Korallen­­-
welten in nichts nachstehen.

Weil sie ihre Skelette aus Aragonit, einer besonders leicht löslichen Art von Kalziumkarbonat aufbauen, gelten Kalt­wasserkorallen wie Lophelia pertusa als besonders von Ozeanversauerung bedroht. BIOACID-Forschende haben daher lebende Korallenstöcke in ihren Laboren zukünftigen Kohlendioxid-Konzentrationen und Wassertemperaturen ausgesetzt. Bei unveränderten Wassertemperaturen zeigten die Korallen im saureren Wasser ein verringertes Wachstum. Eine erhöhte Temperatur allein steigerte das Wachstum. Bei gleichzeitig erhöhten Wassertemperaturen entwickelten sie sich im saureren Wasser ähnlich wie unter heutigen Bedingungen. In der Kombination glichen die Aus­­­wirkungen der beiden unterschiedlichen Umwelt­faktoren also einander aus.

Ist dies Anlass zur Hoffnung? Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler sind überzeugt, dass die letztendliche Reaktion der Kaltwasser­korallen stark davon abhängt, in welchem Maße der Ozean im Zuge des Klimawandels versauert und welche Temperaturen die Korallen zukünftig erleben. Lophelia pertusa könnte nur so lange von steigenden Temperaturen profitieren, wie diese innerhalb der Grenzen liegen, die diese Art weltweit zurzeit bereits erlebt. In manchen Regionen befindet sie sich aber bereits an ihrem Temperatur-Limit. Steigen die Tempe­­­­ra­turen weiter, könnte die Erwärmung den negativen Effekt der Ozeanversauerung verstärken, anstatt ihn zu kompensieren.

Weiteren Anlass zur Sorge bereitet die Beobachtung, dass nur lebende Korallen den geänderten Bedingungen trotzen. Abgestorbene Lophelia-Stöcke sind nicht durch ihr organisches Gewebe gegen das saurere Wasser geschützt und könnten stärker angegriffen werden. Doch genau sie bilden das Fundament für die Artenvielfalt heutiger Riffe. Weitere Labor- und Feld­experimente werden zeigen, wie flexibel Lophelia pertusa in ihrer natürlichen Umgebung auf Umweltveränderungen reagiert und wo die Grenzen ihres Anpassungspotenzials liegen. Doch um die beeindruckenden untermeerischen Oasen zu bewahren, die Lophelia pertusa begründet, müssen Aus­wirkungen des Klimawandels schon jetzt verringert werden – während die Wissenschaft weiter daran arbeitet, das komplexe Ökosystem zu verstehen.

Mehr über BIOACID-Forschung zu Lophelia pertusa in diesem Video-Porträt von Janina Büscher.


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